„Durch die Corona-Krise verschieben sich die schulischen Problemlagen drastisch. Die Berufszufriedenheit an den Schulen ist im freien Fall, die technische Infrastruktur der Schulen ist katastrophal und jede zweite Schule im Land hat große Schwierigkeiten durch die Krise zu kommen“, fasst der Landesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Gerhard Brand, die Ergebnisse der vom VBE in Auftrag gegebenen forsa-Umfrage „Schule vor und während der Corona-Krise aus Sicht der Schulleiterinnen und Schulleiter“ zusammen.
Seit 2018 führt forsa im Auftrag des VBE Baden-Württemberg jährlich eine fürs Land repräsentative Schulleiterbefragung zur Lage der Schulen durch. Der VBE hat die Studie dieses Jahr sowohl im Februar als auch im April, d. h. einmal kurz vor und einmal während der Corona-Krise, durchführen lassen. Im Fokus standen dabei die Berufszufriedenheit der Schulleitungen, die größten schulischen Probleme und Herausforderungen sowie die Digitalisierung der Schulen.
Berufszufriedenheit an Schulen im Sinkflug
Ein zentrales Ergebnis der Studie lautet, dass in der Corona-Krise die Berufszufriedenheit an den Schulen drastisch sinkt. In nur drei Monaten hat sich die Zahl der Schulleitungen, die ihren Beruf nur „ungerne“ ausübt, von 9 Prozent im Februar auf 20 Prozent im April mehr als verdoppelt. „Hier zeigt sich, wie sehr die Krise den Schulleitungen zu schaffen macht. Sie mussten praktisch übers Wochenende ihren gesamten Schuljahresplan umschmeißen, den Fernunterricht auf die Beine stellen und die Notbetreuung einrichten. Viele von ihnen haben in den Osterferien durchgearbeitet und sind werktags von morgens bis abends an der Schule, um den Laden irgendwie am Laufen zu halten“, erklärt Brand.
Verschiebung schulischer Problemlagen
Darüber hinaus kommt es mit der Corona-Krise zu einer deutlichen Verschiebung schulischer Problemlagen. Der Lehrermangel ist bis zur Krise das beherrschende Thema und hat sich in den letzten Jahren weiter verschärft: Hatte 2018 noch jede dritte Schule mit unbesetzten Stellen zu kämpfen, sind es dieses Jahr bereits 48 Prozent der Schulen, die vom Lehrermangel betroffen sind. „Dies bedeutet nichts anderes, als dass das Land an der Hälfte der Schulen den Unterricht auch in Normalzeiten nicht in allen Bereichen in der gewünschten Qualität sicherstellen kann,“ so Brand.
Neben dem Lehrermangel nennen die Schulleitungen vor der Corona-Krise die steigende Arbeitsbelastung, die Eltern der Schüler sowie Inklusion und Integration als Hauptprobleme der Schulen. Während der Corona-Krise rücken nun durch die Schulschließungen bedingte Problemfelder in den Vordergrund: Das Krisenmanagement, fehlende Konzepte für Homeschooling und Notbetreuung sowie die mangelhafte digitale Infrastruktur für das Homeschooling. „Die Corona-Pandemie hat die Gesellschaft im Ganzen und die Schulen im Besonderen kalt erwischt. Sie ist zudem von einer bisher ungeahnten Dynamik geprägt. Die Politik musste sich dieser Dynamik beugen und von heute auf morgen die Schüler in den Heimunterricht und die Notbetreuung schicken, ohne hierfür ausgearbeitete Konzepte in der Schublade liegen zu haben“, erläutert Brand die Ergebnisse.
Größte Herausforderungen durch die Corona-Krise
Fragt man die Schulleitungen, welches die größten schulischen Herausforderungen infolge der Corona-Krise sind, werden am häufigsten von jeweils rund 40 Prozent der Befragten die mangelhafte digitale Ausstattung der Schulen sowie der Schüler genannt. Die weiteren Studienergebnisse belegen, dass an zwei Dritteln aller Schulen keine Klassensätze an Tablet-PC oder Smartphones verfügbar sind.
Weiterhin zeigt sich, dass es in Baden-Württemberg keinen flächendeckenden Zugang der Schulen zum Internet gibt. Trotz Digitalpakt hat sich die Lage sogar noch verschlechtert. So ist die Zahl der Schulen, die in allen Klassen- und Fachräumen auf ein schnelles Internet zugreifen kann, im April 2020 im Vergleich zum Vorjahr von 40 auf 30 Prozent gesunken. „Dies bedeutet, dass sieben von zehn Schulen im Land nicht ausreichend ans Internet angeschlossen sind. Die digitale Infrastruktur unserer Schulen ist nach wie vor eine Katastrophe. Zumindest ist nun der Wille bei allen Beteiligten da, dies zu ändern. Da wir davon ausgehen, auch ins nächste Schuljahr mit einer Kombination aus Präsenz- und Fernunterricht zu gehen, gilt es nun, zügig und konsequent zu handeln“, mahnt Brand.
Jede zweite Schule hat zu kämpfen
Vor dem Hintergrund fehlender Konzepte für den Heim- und Fernunterricht und einer mangelhaften digitalen Infrastruktur wundert es nicht, dass die Hälfte der Schulen große Schwierigkeiten hat, durch die Krise zu kommen. Die weiterführenden Schulen kommen jedoch besser zurecht als die Grundschulen: 53 Prozent ihrer Schulleitungen sagen, dass sie insgesamt gut zurechtkommen. Bei den Grundschulen sind es dagegen nur 41 Prozent. Die klare Mehrheit von 57 Prozent der Grundschulleitungen gibt an, weniger gut oder nur schlecht durch die Krise zu kommen. „Der Fernunterricht stößt an den Grundschulen an seine Grenzen. Grundschulkinder können nur phasenweise eigenständig lernen und sind auf starke Unterstützung ihrer Eltern angewiesen. Der Einsatz digitaler Lehr- und Lernmethoden ist zudem nur begrenzt möglich“, erläutert Brand. Insgesamt gibt die knappe Mehrheit der Schulleitungen an, nicht gut beziehungsweise schlecht durch die Corona-Krise zu kommen.
Die Schulpolitik in der Krise bewerten die Schulleitungen mit der Note 3,4 – eine halbe Note besser als vor der Krise. „Ich hoffe, dass das Ministerium dies als Anreiz sieht, um auch weiterhin auf die Rückmeldungen der Schulen und Verbände einzugehen. Gerne würden noch bessere Noten verteilen, man muss uns nur die Gelegenheit dazu geben“, so Brand.
Forderungen
- Der Gesundheitsschutz der Schulleitungen, Lehrkräfte und der Schülerschaft muss weiterhin oberste Priorität haben.
- Land und Kommunen haben alle Schulen so auszustatten, dass auch nach der Ausweitung des Präsenzunterrichts die Hygiene- und Abstandsregeln eingehalten werden können.
- Schulen, die nicht in der Lage sind, Hygiene- und Abstandsregeln einzuhalten, sollten später in den erweiterten Präsenzunterricht starten. Oder von den Rahmenvorgaben abweichende Modelle des Unterrichts einsetzen dürfen.
- Lehrkräfte betreuen nicht, Lehrkräfte lehren. Die Lehrkräfte der Notbetreuung werden für den Präsenzunterricht benötigt. Die Notbetreuung kann durch Schulsozialarbeit und Betreuungskräfte der Gemeinden und Städte erfolgen.
- Schülerinnen und Schüler der zehnten Klassen sollten nach den schriftlichen Abschlussprüfungen wieder im Fernunterricht beschult werden. Dies würde den Schulen personelle und räumliche Ressourcen freimachen.
- Spätestens zum nächsten Schuljahr müssen zumindest alle Schülerinnen und Schüler aus sozial schwachen Familien auf digitale Endgeräte zugreifen können.
Weiterführende Dokumente: