Lederle spricht Klartext: Das Schweigen der Kolleginnen

Klartext

Es gibt Situationen, die sind mir als Schulleiter eigentlich nicht neu. Wie neulich zum Beispiel. Da wollte ich nur mal kurz in das Lehrerzimmer und irgendein Plakat aufhängen. Als ich dann reinkam, sitzen mehrere Kolleginnen am Tisch. „Ist doch wahr!“, ruft die eine noch, dann werden alle stumm. Wenn so ein Grüpple dann plötzlich verstummt, weiß man als Schulleiter, dass es wohl irgendwie um die Schulleitung geht. Oder aber um einen besonders sensiblen Sachverhalt, also zum Beispiel was Kollegin X wieder (nicht) gemacht hat, irgendetwas, das man dem Chef halt nicht unbedingt sagen will. Plötzlich durchbricht die Kollegin die Stille: „Jetzt fragen wir mal den Chef!“ Innerlich atme ich leicht auf; es geht also nicht um die Schulleitung. Glück gehabt.

Was die Kollegin mir dann erzählt ist zwar nicht neu, aber irgendwie erschreckt es mich dann doch immer wieder. Ich weiß nicht, ob Sie das kennen, aber nun gut. Ich gehöre jetzt auch schon zu den gesetzteren Kolle- gen (merken Sie auch, wie geschickt ich den Begriff „alt“ umschiffe?). Da ist es ja auch normal, dass man sich zumindest altersmäßig etwas von der Elterngeneration entfernt und vielleicht nicht mehr alles so versteht, was diese umtreibt. Da gibt es diese „digitalen Jammerzirkel“ alias „virtuelle Pranger“, in denen sich Eltern gerne in irgendwelchen WhatsApp-Gruppen verabreden und dann aus jeder noch so kleinen Mücke einen riesigen Elefant machen. Mit dem Ergebnis der digitalen stillen Post wird dann zuerst die Klassenlehrkraft belästigt oder wahlweise auch gleich die Schulleitung, ach was sage ich, die Kultusministerin, nein eher der Ministerpräsident. Oder warum nicht gleich der Bundeskanzler. Dann schreibt man halt mal wieder eine Stellungnahme für das Schulamt, denn die daraus resultierende Beschwerde kommt dann die ganze wunderschöne Kaskade rückwärts und landet schließlich auf meinem Schreibtisch.

Den Letzten beißen halt immer noch die Hunde.

Den Letzten beißen halt immer noch die Hunde. Danke dafür! So kann Freizeitgestaltung auch aussehen.

Eigentlich bevorzuge ich ja lieber ein solides Hobby, wie Wandern oder Radfahren. Aber was soll’s, mich tröstet dann oft ein Spruch unseres leider schon pensionierten Juristen aus dem Regierungspräsidium über die drei Grundsätze einer Beschwerde: formlos, fristlos und fruchtlos.

Dann gibt es da noch die andere Gruppe an Zeit- und Energiedieben. Diese seltsame Gattung hat während der Pandemie nicht nur an Zahl, sondern vor allem auch in ihrer Vehemenz deutlich zugenommen. Ich nenne sie immer Planeteneltern. Sie drehen sich ausschließlich um sich selbst und natürlich um ihre Marie-Sophie oder ihren Finn-Torben. Und danach hat sich gefälligst ebenso die Welt zu richten. Gut, solche egozentrierten Menschen gab es schon immer, neu ist aber, was sie von einem wollen, respektive einfordern und wie sie dies verbal vorbringen. Wie neulich eben diese Mutter, über welche die eingangs erwähnte Kollegin also mit mir sprach. So sitzen wir dann an einem Freitagmittag in einer Gesprächsrunde, um über dieses Kind zu sprechen. Ganz schwierige Situation und durch die Pandemie natürlich nicht einfacher geworden. Wie fast immer finden wir eine Lösung. Zum Glück sind wir uns auch noch über die daraus resultierenden Maßnahmen einig. Für mich ist also erst einmal die „Kuh vom Eis“.

Aber dann am Wochenende, die Kollegin nimmt sich also auch noch in ihrer wohlverdienten Freizeit Zeit für die weiteren Anliegen dieser Mutter, entfacht eben diese Mutter ein E-Mail-Pingpong. Dieses gipfelt schließlich darin, dass sie von der Kollegin mit großem Nachdruck ein ausführliches Gesprächs- und Ergebnisprotokoll fordert. Dies sei doch schließlich die Aufgabe der Kollegin und sie hätte ein Recht darauf, dass hätten ihr befreundete Lehrkräfte, ach was sage ich, natürlich Schulleiter versichert. Selbstverständlich hat die Kollegin auch Stichworte festgehalten. So professionell sind wir alle, aber sind denn Lehrkräfte die Schreibkräfte für die Eltern? Ich für meinen Teil kann gut verstehen, dass die Kollegin in dieser sehr dichten und mit Zusatzaufgaben überfrachteten Zeit der Pandemie sich nicht auch noch hinsetzen will und ein Protokoll nach Vorstellungen der Mutter verfassen möchte. Genug zu tun haben wir doch alle.

Wie sagte mein Vater an dieser Stelle immer: „Hä? Wer dumm tut, kriegt erst recht nix!“.

Also nicht eine höfliche Bitte, sondern stattdessen eine Belehrung, was „in ihrer Welt“ üblich wäre. Selbstverständlich helfe ich der Kollegin und schreibe also höflich zurück. Dass das natürlich keinesfalls ausreichend sein dürfte, war mir eigentlich schon klar, als ich die Mail abgeschickt hatte. Mit der Kollegin habe ich übrigens noch gewettet. Prompt wurde dann von der Mutter die nächste verbale Eskalationsstufe gezündet („Faule Säcke“ etc.) und irgendwie langt das selbst mir dann. Natürlich habe ich Verständnis für die ganz besondere und äußerst schwierige Situation jedes Menschen und ja, die Pandemie fordert und belastet uns alle. Und wenn Sie mich fragen, mir ist während dieser zwei Jahre auch viel abgegangen. Aber laufe ich da wild verbal eskalierend durch die Gegend und schlage dann die helfende Hand, die sich mir entgegenstreckt?

Laufe ich in den „dm“ und beschimpfe die Frau, die die Regale nicht nach meinem Geschmack auffüllt und die Küchenrolle schon wieder an einem anderen Ort platziert? Also ich für meinen Teil würde mich zuallererst für die Hilfe bedanken – getreu dem englischen Sprichwort „Good manners come free“ – und dann vielleicht selbst das Ergebnis festhalten. Aber Eigeninitiative macht halt Arbeit und stattdessen jemand anders den „einengen Affen“ auf dessen Schulter zu setzen ist doch viel spannender. Dann antworte ich halt mal wieder. Offensichtlich will die Dame nicht verstehen. Ich muss wohl deutlicher werden, obwohl ich darum weiß, was dies bedeutet und nach sich zieht.
Wollen wir wetten?

Dirk Lederle, Schulleiter Johanniterschule Heitersheim und Stv. Landesvorsitzender