Lederle spricht Klartext: Vom Leben in der Blase oder wie schön es doch im Elfenbeinturm ist

Klartext

Erinnern Sie sich noch an Ihr Studium? Meine Erinnerungen sind da noch sehr lebhaft. Ich erinnere mich nicht nur an gewisse Standardgerichte der Mensa (Jungschweineragout Ortenauer Art oder grüne Nudeln mit Roquefortsauce) oder an meine Kommilitoninnen und Kommilitonen, von denen mich sogar welche bis in mein Kollegium „verfolgen“, sondern auch an bestimmte Professoren und Lehrbeauftragte. Vor allem an die in meinen studierten Fächern.

Nicht ganz so lebhaft ist meine Erinnerung hingegen im Bereich des „Beiwerks“, z.B. in den Bereichen allgemeine Pädagogik und Schulpädagogik. Natürlich erinnere ich mich hier noch an die Themen und Inhalte, aber irgendwie war mir das immer zu wenig griffig und zu sehr von Theorien so oder so geprägt. Stundenlange Diskussionen über irgendwelche Untersuchungen, die der eine Autor so auslegte, der andere aber wieder ganz anders. Da fällt mir eigentlich nur diskutieren um des Diskutierens Willen ein. Verzeihung. Natürlich müsste es hier akademischer Diskurs heißen.

Spannend an der Sache ist, wenn man wie ich schon einige Zeit im Schuldienst ist, wie sich dies mit der Zeit wandelt. Wie auf einmal wieder ganz neue Theorien nebst den dazugehörigen Heilsbringern auftauchen, dann wieder verschwinden und auch wieder auftauchen. Irgendwie scheint auch die Pädagogik ähnlich wie die Mode zu funktionieren. Manchmal ertappe ich mich dann schon auch, dass ich zumindest innerlich zum „NummelangsamNummenithudle“ meiner südbadischen Heimat tendiere, man könnte auch „Jetzt mal langsam. Lasst uns erst mal schauen.“ dazu sagen.

Drei deputatswirksame Teamstunden pro Woche zur Besprechung und Vorbereitung – eher nicht

Dieses Post-Studien-Syndrom hat mich neulich wieder einmal eingeholt. Impulsvortrag einer sehr eloquenten, charmant vortragenden, namhaften Bildungsforscherin. Es ging um adaptives Unterrichten als Chance im Umgang mit Heterogenität. Spannende Idee, aber irgendwie auch nicht neu und vor allem von vielen Kolleginnen und Kollegen schon längst in der Praxis umgesetzt. Da werden dann Studien über die Wirksamkeit aus dem angelsächsischen Ausland aufgeführt und tolle Modelle für das Unterrichten vorgestellt, die weder auf unsere Situation übertragbar, geschweige denn umsetzbar sind. Oder meinen Sie, dass man uns im Kultusministerium drei deputatswirksame Teamstunden pro Woche zur Besprechung und gemeinsamen Vorbereitung zugestehen würde? Ich bin da durchaus pessimistisch, wenn ich so miterlebe, wie man sich dort alleine bei der Erhöhung der Leitungszeit für Schulleitungen ziert und um Stundenbruchteile feilscht. Und wenn ich mir überlege, dass das, was dann in Stuttgart an Leitungszeit rauskommt, höchstens zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel ist, aber kaum eine signifikante Entlastung darstellt.

Doch plötzlich fiel da ein Satz im Vortrag, der sich zuerst relativ harmlos anhört, mich aber im Nachgang ziemlich beschäftige. „Der mittlere Bildungsabschluss wird zum Regelfall werden.“ Aha. Die Anzahl der gymnasialen Grundschulempfehlungen ist auch in diesem Jahr wieder gestiegen. Interessant. Vielleicht kommen auch daher die vielen Rückläufer vom Gymnasium, die wir an der Schule immer wieder in die Klassen integrieren dürfen. Dennoch gibt es da auch andere Empfehlungen und ja auch immer noch einen veritablen und relativ großen Anteil an HS/WRS-Empfehlungen. Ich weiß, dass die Kolleginnen und Kollegen an den Grundschulen schon sehr genaue und sehr fundierte Überlegungen anstellen, bis sie das Kreuz an dieser Stelle machen. Das erlebe ich jedes Jahr bei mir im Haus auch, wenn meine Konrektorin wieder einmal den ganzen Nachmittag in einer 4er Klassenkonferenz verschwunden ist. Die Professorin untermauert ihre Erkenntnis: Sie begründet es mit dem gestiegenen Anspruchsniveau auch bei Ausbildungen. Spannend. Das wäre dann also die „Kopfschwanzmethode“, wie mein Biologieprofessor immer zu sagen pflegte, also das Pferd von hinten aufgezäumt. Weil das Anspruchsniveau steigt, muss sich auch die Zahl der mittleren Bildungsabschlüsse steigern? Das lässt sich problemlos einrichten. Haben Sie auch schon eine Idee? Mir auf jeden Fall kamen da zwei konträre Ansätze in den Sinn. Entweder müssen die Kinder halt einfach schlauer werden – gibt es hierfür eigentlich schon Pillen? –  oder man senkt schlicht das Anforderungsniveau dieses Abschlusses soweit ab, dass es tatsächlich fast jeder schafft. Also ist das Kind pünktlich da und stört nicht – Note 3. Hat es auch noch die Hausaufgaben – Note 2. Beteiligt es sich freiwillig im Unterricht – Note 1. 

In welcher Blase / in welchem Elfenbeinturm lebt man eigentlich an den Hochschulen?

Da frage ich mich schon, in welcher Blase man offensichtlich an den Hochschulen lebt. Es gibt sie einfach, diese Kinder, die zwar viele Talente und Begabungen haben, aber vielleicht nicht unbedingt im schulischen Bereich. Kinder die gerade hier eben nicht über die notwendige Ausdauer und den Ehrgeiz verfügen, um schulisch erfolgreich zu sein. Kinder, die dann aber ihre praktische oder handwerkliche Begabung haben und diese auch zeigen, wenn man sie lässt. Ich bin immer wieder erstaunt, was ich da aus Berufspraktika über unsere Schülerinnen und Schüler erfahre. Wozu der Akademisierungswahn führt, kann jeder erleben, der einen Handwerker sucht. Mangelware, egal in welchem Bereich. Wartezeit ewig und Preise, dass sich einem die Nackenhaare stellen. Es braucht auch Menschen, die praktische Tätigkeiten im Bereich des Handwerks, der Dienstleistungen oder Logistik verrichten. Die kann man sicher ebenso mit einem Realschulabschluss oder einem Abitur machen. Notwendig dazu ist dies sicher nicht. 

Aber vielleicht spielt das im Elfenbeinturm der Hochschulen oder in den besseren Bezirken unserer Städte, wo man die sehr bildungsnahen Schichten üblicherweise findet, keine Rolle und der aufrechtgehende Mensch beginnt dort wohl eigentlich erst ab dem Abitur und gelegentlich auch noch mit dem Realschulabschluss. Immerhin kann man mit dem ja noch ein „Notabi“ auf der Berufsschule machen. Es wird die oben beschriebenen Kinder jedoch immer geben und wir werden sie auch nicht durch noch so ausgeklügelte Unterrichtskonzepte zum Realschulabschluss bringen. Wirklich nicht. Aber das ist auch gut so. Eine funktionierende Gesellschaft lebt von der Vielfalt und der Unterschiedlichkeit der Menschen und nicht davon, dass man sich die so schönredet, bis sie einem gefällt.

Vielleicht handelt es sich schlicht um eine Utopie als Triebfeder der Forschung und anschließender Reformierung bestehender Strukturen und Arbeitsweisen. Utopie als Motor der Weiterentwicklung.  So habe ich das zumindest damals im Studium gelernt. Auch daran erinnere ich mich noch.

Dirk Lederle, Stv. Landesvorsitzender