Lederle spricht Klartext: Echt jetzt? Immer noch Augen zu und durch?

Klartext

Wir sitzen zusammen im Lehrerzimmer am Wohlfühltisch. Ja, so etwas gibt es bei uns an der Schule. Neben den Tischen, an denen sich die Kolleginnen und Kollegen normalerweise aufhalten – bei uns gibt es zwar keine feste Sitzordnung, aber setzen Sie sich bloß nicht an den falschen Platz – gibt es diesen besonderen Platz. Ein großer runder Tisch, an den sich immer wechselnde Menschen setzen, die näher bei der Kaffeemaschine sein wollen, den von anderen mitgebrachten Kuchen fest im Blick haben oder die einfach nur finden, dass an deren üblichen Platz viel zu viel über Schule geredet wird.

Die einzige Regel ist also sich wohlfühlen und bloß nicht über Schule oder Schülerinnen und Schüler reden. Normalerweise geht es dort etwas légère zu und sogar der Chef darf ohne Murren und Knurren mitmischen. Gelacht wird eigentlich immer viel und manchmal auch weit abseits von Schule gesprochen. Ich schätze das immer sehr. Neben all der Belastung eines Schultages tut das einfach nur gut.

Nach längerer Abstinenz an diesem Tisch, hatte ich neulich mal wieder die Zeit mich dorthin zu setzen. Es tat richtig gut. Es mag zwar wenig charmant klingen, aber so gewisse Abnutzungsspuren waren dann doch deutlich zu sehen. Sogar bei unserer Jüngsten im Kollegium. „Chef Sie sehen müde aus“, stellte sie fest. Ich dachte nur: Wie charmant, das sollte ich mal zu einer Lehrkraft sagen; Ob die BfC wohl Verständnis dafür hätte? Also entschloss ich mich zu einem: „Danke gleichfalls.“ Wir lachten und tauschten noch einige andere Komplimente aus. Als ich mich so am Tisch umschaute hatten wir damit wohl eher kein Alleinstellungsmerkmal und das lag bei Weitem nicht am strengen Wochenendprogramm und ausschweifenden Club-Besuchen, wie man heute wohl dazu sagt. Nach eigenem Bekunden auch bei ihr nicht. Aus dem Alter bin ich jedenfalls sowieso und deutlich raus. Aber jetzt mal ehrlich, mal ganz abseits von Corona, nur so den ganz normalen Wahnsinn betrachtet: So kann es doch nicht weitergehen. Der Ausnahmezustand mutiert langsam zum Normalzustand. Da war zuerst die Flüchtlingswelle 2015, dann kam Corona und jetzt die verheerende Ukraine-Situation. Zugegeben, wenn ich deren Situation betrachte, ist jammern sicher eher weniger angebracht, aber irgendwie kommen wir nicht aus dem permanenten Krisenmodus raus und das mit immer weniger Lehrkräften. 

Jedes Jahr starten wir mit weniger als 100% Versorgung und dann kommt es, wie es halt so kommt: Irgendwas ist immer. Irgendwer hatte einen unnötigen Unfall in den Ferien, ist unabsehbar erkrankt, tragischer Weise schwer und langfristig, kommt auf Reko oder wird erfreulicherweise schwanger – Ausfall, Ausfall, Ausfall. Als gute Schulleitung versuchen wir dann zusammen mit dem Kollegium Lösungen zu finden und wir sind allzu oft auf uns alleine gestellt. Ersatz vom Amt? Würden sie mir zwar gerne geben und sie bemühen sich wirklich nach Kräften, aber faktisch ist da kaum was da und wenn, dann stellt sich aufgrund der Bewerberlage und deren nicht vorhandene Qualifikation allzu oft die Frage, ob neben der Arithmetik und faktischen Erhöhung des Versorgungsgrades, das nicht nur zusätzliche Belastungen für das Kollegium mit sich bringt. So sehr sich diese sogenannten meist „Nichterfüller“ auch bemühen (fertig ausgebildete Lehrkräfte kommen häufig leider nicht), eine Vorqualifikation oder Berufsbegleitung findet von Amtes wegen nicht statt. Das macht dann ein Grüpple wohlwollender Kolleginnen und Kollegen für Gotteslohn beziehungsweise weil sie es nicht mitansehen können.  

Woher kommt das eigentlich? Wo sind die ganzen Lehrkräfte denn? Ja, ich weiß, dass es uns im Speckgürtel von Freiburg eher noch gut geht. „Deine Sorgen möchte ich haben!“, sagte mir neulich ein befreundeter Schulleiter – wie man bei uns sagt „aus dem Wald“ -, der jedes Jahr mit wenig mehr als 80% startet und das mit jährlich sinkender Tendenz. Er bekommt nicht mal jemanden für eine Planstelle, geschweige denn als Krankheitsvertretung. Und das ist nicht nur auf der Baar, der Schwäbischen Alb oder am Hochrhein der Fall. Solche Gegenden gibt es viele in „The Länd“. Selbstverständlich weiß man in Stuggi darum, man bedauert es auch sehr, ist manchmal verzweifelt ratlos, aber zurückhalten tut man sich deswegen eher nicht. Projekte gibt es reichlich und eine Gegenleistung hierfür in Form von Entlastung und Personal eher nicht. Als wäre dies nicht genug, verweist man dann im Zweifel genau darauf, um wichtige Entlastungen für Lehrkräfte und Schulleitungen zu verhindern. Echt jetzt? Diese Logik hat sich mir jedenfalls noch nie so ganz erschlossen. Man will mehr Gegenleistung ohne sauber gegen zu finanzieren? Klar, das funktioniert nirgendwo, außer bei uns.

Und dann kam der Hammer! Diesmal in Form der vom VBE in Auftrag gegebenen Studie unter Leitung von Prof. Klemm. Kernaussagen: Der Lehrkräftemangel an den Schulen des Landes wird sich noch weiter verschärfen. Es fehlen 10.000de Lehrkräfte in den kommenden Jahren. Da gab es doch mal einen Ministerpräsidenten, der wollte sogar 11.000 Planstellen abbauen wegen viel zu viel. Mir fällt nur gerade der Name nicht ein. Irgendwas mit K. Das sind perspektivisch so viele fehlende Lehrkräfte, dass nicht einmal der Regelunterricht sicherzustellen sein würde, nirgendwo, geschweige denn die chronisch überlasteten Kollegien endlich entlastet werden könnten. Da hilft kein „Augen zu und durch“ in der Thouretstraße in Stuttgart. Kein Sparzwang und Gerangel zwischen den Ressorts, lieber Herr Finanzminister. Kreative Lösungen sind gefragt. Aktive Personalgewinnung, Quereinsteigerprogramme, Unterstützungsprogramme für Nichterfüller, den Beruf für Teilzeitlehrkräfte so attraktiv und leistbar machen, dass diese auch aufstocken können und möchten, die Belastungen für Vollzeitkräfte schlicht wieder ertragbar machen, so dass diese nicht noch mehr ausfallen und vor allem endlich mal die Ausbildungskapazitäten deutlich hochfahren – nicht nur marginal. 

Wie soll das denn bitte sonst weitergehen? Ich fürchte, dass da auch weitere Wohlfühltische bei uns nicht ausreichend werden, um ohne alle diese Maßnahmen, die künftigen Lücken und die bereits jetzt bestehenden Herausforderungen zu schultern. Echt nicht!

Dirk Lederle, Stv. Landesvorsitzender