Lederle spricht Klartext: Kennen Sie das Gefühl?

Klartext

So ein Schuljahresende ist schon etwas Besonderes. Abschlussprüfungen, Abschlussfeiern, Noten, Zeugnisse, Schulfest, außerunterrichtliche Veranstaltungen, Projektwochen, um nur einiges zu nennen. Alles ist sehr dicht gedrängt, extrem viele Jobs und vor allem absolutes Termingeschäft. Man wickelt als Schulleitung das alte Schuljahr ab und ist gleichzeitig schon sehr intensiv mit dem neuen beschäftigt. Meinem Bürgermeister hatte ich es neulich so erklärt: Bei uns ist halt zwei Mal Neujahr – am Schuljahresende und an Weihnachten.

Kennen Sie das Gefühl, wenn so langsam die Entspannung einsetzt? Ich für meinen Teil liebe es und bin immer ziemlich froh, wenn die traditionelle Dienstbesprechung zum Schuljahresende rum und vor allem der Unterschriftenmarathon erledigt ist. Diese letzte Dienstbesprechung ist auch immer für mein Kollegium besonders. Der Rahmen ist immer sehr besonders, fast schon feierlich und auch das Kollegium gibt sich sehr viel Mühe in der Gestaltung eines würdigen Rahmens. Ich bereite ziemlich viele Reden vor, organisiere noch Blumensträuße und werde dabei zum Glück von meinen beiden Sekretärinnen sehr tatkräftig unterstützt, damit ich auch ja nichts vergesse. Und ganz ehrlich, mit dem Blumen-Aussuchen habe ich es nicht so. Ganz zu schweigen vom eleganten Halten der Dinger. Die wirken immer eher wie ein Fremdkörper an meiner Hand. Meine Frau würde jetzt wieder „typisch Mann“ sagen und mit den Augen rollen. Es werden die verabschiedet, die gehen wollen und die, die gehen müssen.

„Es werden die verabschiedet, die gehen wollen und die, die gehen müssen.“

Apropos gehen müssen: Es ist bei uns schon eine besondere Situation. Wir bilden jedes Jahr Anwärterinnen und Anwärter aus, aber bleiben dürfen diese nicht. Trotz des Lehrermangels gibt es bei uns so gut wie keine Neueinstellungen, weil es sehr viele Versetzungsbewerber gibt, die in unser Schulamt wollen. Kein Problem sollte man meinen. Doch! Denn die müssen ja irgendwo herkommen und da lässt man sie eher nicht gehen oder ziemlich lange auf die Versetzung warten. Sicher, auch in diesen Gegenden gibt es Kinder, die unterrichtet werden wollen, aber in der Konsequenz führt dies nicht zu mehr Lehrern dort, sondern fatalerweise eher zu weniger. Warum? Naja, weil die jungen Kolleginnen und Kollegen fürchten, dass wenn sie erst einmal dort sind, einfach nicht mehr wegzukommen, was ja so auch gar nicht von der Hand zu weisen ist. Sind diese jungen Menschen deshalb undankbar? Nein, natürlich nicht. Sie nutzen nur das konsequente Versagen und das Unvermögen der Politik aus. Da hat man über Jahre viel zu wenig ausgebildet und schwupps wundert man sich, dass man keine Lehrkräfte hat. Überraschung! Und da Politik in Legislaturperspektiven denkt, wird es mit einer langfristigen Perspektivplanung eher schwierig. So ist also ein so genannter Arbeitnehmermarkt entstanden, in dem sich die jungen Nachwuchskräfte halt ihren Job – Gott sei Dank – aussuchen können. Also nicht so, wie zu meiner Zeit, als es klar war, dass eigentlich niemand einen Job bekommt. Nirgendwo. Auch nicht auf der Alb, der Baar oder sonst wo. Zum Glück sind diese Zeiten vorbei. 

Ich frag‘ mich schon, was an einer ordentlichen Bedarfsplanung so schwierig ist. Ich meine, weder Kinder noch Lehrkräfte fallen vom Himmel. Beide brauchen übrigens fast gleich lang, bis sie in der Schule tatsächlich ankommen. Und dann wäre da noch die andere Seite: die Bestandslehrkräfte. Wie viele arbeiten denn bei Ihnen so in Teilzeit? Ach, auch der überwiegende Teil? Überrascht mich auch nicht. Haben Sie sich schon einmal nach dem Warum gefragt? Also da gibt es sicher die, die einfach nicht mehr wollen. Okay. Aber es gibt halt auch diejenigen, die nicht können. Wenn ich mich mit meinen Anwärterinnen in Schulkunde über ihren Berufseinstieg unterhalte, dann bekomme ich bei dem Wort Vollzeit nur entsetzte Blicke. Sind die schon wieder undankbar und haben etwa nur ihre Work-Life-Balance im Blick?  Nö. Sie sagen mir ganz klar, dass sie Vollzeit einfach nicht schaffen, womit wir beim Zauberwort Arbeitsbedingungen wären.

Ehrlich gesagt komme ich mir manchmal eher wie der Trommler auf einer Galeere vor. Das, dann das noch und dann das auch noch. Entlastung dafür? Gönnen Sie sich doch mal den Spaß und fragen Sie in Ihrem Kollegium rum, wer den Eindruck hat, dass er seinem Job noch so richtig gerecht wird. Ich wette, Sie finden sicher einen überschaubaren Personenkreis vor. Warum ist das so? Ja klar, die Kinder haben sich verändert. Und die Welt um uns rum auch. Die Anspruchshaltung sowieso. Aber die Krux ist doch, dass man uns stetig mehr Zeit für unser Kerngeschäft, den Unterricht und die Arbeit am Kind, genommen hat und uns auf der anderen Seite mit Kruscht beschäftigt hält. Wäre dem nicht so, dann wette ich auch, dass wir mehr Lehrkräfte hätten, die entweder in Vollzeit arbeiten würden oder zumindest mehr in Teilzeit. Und die Unterrichtsversorgung wäre dann sicher auch erheblich leichter. Wie das? Naja, Vorschläge hätte ich da genug – die Einrichtung einer fixen Krankheitsreserve, die Etablierung von echten multiprofessionellen Teams, die Senkung des Klassenteilers, die Deputatsreduktion und noch die vielen anderen kleineren Stellschrauben, die schon lange überfällig wären, wie die Klassenlehrerverwaltungsstunde, Anrechnungsstunden für Coaching, verbindliche Korrekturtage, angemessene Anrechnungsstunden für die vielen Zusatzjobs und so weiter. Wie viele von Ihnen trauen sich denn auf Fortbildung zu gehen oder gar zu einer Personalversammlung? Da haben nicht wenige unter Ihnen wahrscheinlich schon ein schlechtes Gefühl bei dem Gedanken, was dann an der Schule los wäre und lassen es im Zweifel dann lieber.

Solange man in Stuttgart meint, mit kreativen Ideen wie der Zwangsdeputatserhöhung der Teilzeitkräfte oder der Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung für Anwärter die Probleme angehen zu müssen, solange hat man es schlicht nicht verstanden. Nein, das ist nicht das übliche Gejammer eines Verbandsfunktionärs, sondern viel eher die pure Verzweiflung, dass es auch im kommenden Schuljahr nicht besser wird mit der Unterrichtsversorgung und ich schon wieder die Trommelstöcke schwingen soll. Und dieses Gefühl mag ich überhaupt nicht.

Dirk Lederle, Schulleiter Johanniterschule Heitersheim, Stellvertretender VBE Landesvorsitzender.