VBE-Studie: Schulen zunehmend im Krisenmodus

Haupt-/Werkrealschulen

„Unterm Strich sind wir über alle Schularten hinweg an einem kritischen Punkt angelangt. Wenn bereits zum Schuljahresstart jede zehnte Grundschule, 20 Prozent der Sekundarschulen und 40 Prozent der SBBZ den Regelbetrieb nicht abdecken können, dann ist die Qualität unseres Schulsystems bedroht. Viele dieser Schulen sind längst im Krisenmodus angekommen!“ fasst der VBE-Landesvorsitzende Gerhard Brand die Ergebnisse der neuen VBE-Studie zusammen.

 

Vom 22. bis 27. September 2022 hat der VBE eine Umfrage zur Unterrichtsabdeckung in Baden-Württemberg durchgeführt. Landesweit haben sich 884 Schulen beteiligt, darunter 554 Grundschulen, 229 Schulen der Sekundarstufe I und 92 Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren. Geantwortet haben jeweils die Schulleitungen.

Grundschule

Die Schulleitungen wurden zunächst gefragt, ob ihre eigene Schule mit ausreichend Lehrkräften versorgt ist, um den Unterricht abdecken zu können. Die Umfrage zeigt, dass rund jede fünfte Grundschule (19 %) deutlich unterversorgt ist. Diese Schulen haben bereits zum Schuljahresstart mit einem Versorgungsgrad von unter 90 % zu kämpfen. „Ein mehr als besorgniserregender Wert! Versorgungslücken, wie sie im Laufe des Schuljahres aufgrund von Krankheiten, Grippewellen, Corona oder Schwangerschaften und Mutterschutz auftreten, sind hier noch gar nicht abgebildet“, erklärt Brand.

Infolge der Unterversorgung kann jede zehnte Grundschule (10 %) keinen Regelbetrieb abdecken und nur einen Krisenmodus fahren. Die anderen Grundschulen geben zwar an, den Regelbetrieb leisten zu können, berichten aber ebenfalls von drastischen Maßnahmen: 37 % dieser Schulen müssen Klassen zusammenlegen, 31 % müssen Unterricht ausfallen lassen und weitere 21 % müssen Personen ohne Lehramtsausbildung in Vertretung unterrichten lassen. „Die ergriffenen Maßnahmen verdeutlichen die ganze Dramatik der Situation. Und sie zeigen, dass viele Schulen hohe Opfer bringen müssen, um den Laden irgendwie am Laufen zu halten. Die Schulart Grundschule ist auf Kante genäht und die Nähte reißen an allen Stellen. Für das restliche Schuljahr lässt dies nichts Gutes erahnen“, so Brand.

Sekundarstufe I (Sek I)

Das vielleicht überraschendste Ergebnis der Umfrage lautet, dass über ein Drittel der Sek-I-Schulen (36 %) deutlich unterversorgt ist (Versorgungsgrad unter 90 %). „Damit ist klar, dass der Glaube an eine bessere Versorgung im Sekundarbereich ein Irrglaube ist. Der Engpass, den wir an der Grundschule beobachtet haben, setzt sich nahtlos fort“, erklärt Gerhard Brand.

Die Folge des dramatischen Personalmangels ist, dass jede fünfte Schule (20 %) den Regelbetrieb nicht abdecken kann und somit im Krisenmodus betrieben wird. Die anderen Sekundarschulen geben zwar an, den Regelbetrieb leisten zu können, allerdings müssen sie drastische Maßnahmen ergreifen: An über der Hälfte dieser Schulen (55 %) fällt Unterricht aus, bei einem weiteren Drittel (32 %) müssen Klassen zusammenlegt werden und bei einem Viertel (25 %) müssen Personen ohne Lehramtsausbildung in Vertretung unterrichten. Außerdem kommt es zum Wegfall von Fördermaßnahmen, Poolstunden und Ganztagesangeboten. „Der Maßnahmenkatalog zeigt, dass es auch im Sekundarbereich zu harten Einschnitten in den Schulalltag, beträchtlichen Einbußen in der Unterrichtsqualität und erheblicher Mehrarbeit für die Lehrkräfte kommt“, so Brand.

Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ)

Das bedenklichste Umfrageergebnis: Zum Schuljahresstart sind acht von zehn SBBZ deutlich unterversorgt (Versorgungsgrad von unter 90 Prozent). Infolge der massiven Versorgungslücken können vier von zehn SBBZ den Regelbetrieb nicht aufrechterhalten und müssen auf Notbetrieb umstellen. Gerhard Brand: „So besorgniserregend die Ergebnisse bisher waren, im Bereich der Sonderpädagogik sind sie schlicht nicht mehr vertretbar.“

Auch im Bereich der SBBZ berichten die Schulen, die den Regelbetrieb aufrechterhalten können von harten Maßnahmen: Über die Hälfte dieser SBBZ (54 %) musste Klassen zusammenlegen. Eine weitere knappe Hälfte (46 %) berichtet von Vertretungen durch Personen ohne Lehramtsausbildung. Und nochmals 42 % geben an, dass Unterricht ausfallen muss. „Ausgerechnet in dem hochsensiblen Bereich der Sonderpädagogik sind die meisten Schulen weit von einem normalen Schulalltag entfernt. Dabei erachten wir es als besonders schwerwiegend, dass immer mehr Personen ohne Lehramtsausbildung zum Einsatz kommen. Gerade in der Sonderpädagogik benötigen wir hochqualifiziertes Personal. Die jeweilige Art und Schwere der Beeinträchtigung der einzelnen Schülerinnen und Schüler muss im Unterricht eine medizinische, soziale und pädagogische Berücksichtigung finden. Dies können nur voll ausgebildete Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen leisten“, erklärt Brand.

Forderungen

Um weiteren Notbetrieb abwenden und den Regelbetrieb mit dem vorhandenen Personal abdecken zu können, fordert über alle Schularten hinweg eine Mehrheit von 50 bis 60 Prozent der Befragten den Verzicht auf bildungspolitische Großprojekte wie Ganztag und Inklusion. Zudem formuliert schulartübergreifend eine überwältigende Mehrheit von 80 bis 90 Prozent der Befragten einen klaren Wunsch: die Konzentration auf das Kerngeschäft ­­– den Unterricht.

Um wieder mehr Lehrkräfte ins System zu bekommen und den Beruf attraktiver zu machen, fordern die Schulleitungen die Bezahlung von Grundschullehrkräften nach A 13, kleinere Klassengrößen, eine Senkung der Deputate und insbesondere im Bereich SBBZ den massiven Ausbau der Studienkapazitäten. Dazu erklärt Gerhard Brand: „Dies sind Forderungen, für die der VBE seit Jahren kämpft. Der VBE ist nicht bereit, den herrschenden Mangel als neue Normalität zu akzeptieren und Qualitätsstandards aufzugeben. Die heutigen Herausforderungen, die zunehmende Heterogenität in der Schülerschaft und die massiven Langzeitfolgen der Pandemie und Flüchtlingswellen, machen eine Reduzierung der Klassengrößen und Arbeitsbelastung dringend notwendig. Ohne massive Investitionen und Anstrengungen im Bildungsbereich können wir die Qualität nicht halten.“

Weiterführende Infos
  • Die Ergebnisse der VBE-Studie „Unterrichtsabdeckung in Baden-Württemberg“ finden Sie hier.
  • Den Redetext des Landesvorsitzenden Gerhard Brand zur Veröffentlichung der Studie finden Sie hier.
  • Die Pressemitteiling des Kultusministeriums zum Schuljahresstart finden Sie hier.
  • In Deutschland existiert ein massiver Lehrkräftemangel. Eine vom VBE Bund bei Prof. i. R. Dr. Klaus Klemm in Auftrag gegebene Expertise zeigt, wie sich der Lehrkräftebedarf bis 2030 entwickeln werden. Die Expertise wurde am 25. Januar 2022 veröffentlicht.