Noch nie gab es mehr Fälle von Gewalt gegen Lehrkräfte, noch nie war die Berufszufriedenheit an den Schulen geringer und noch nie war der Lehrkräftemangel größer. Nicht umsonst lautet die Note, die Schulleitungen der Schulpolitik geben: 4,5 – Versetzung in Gefahr. Der Kultusministerin, die erst seit einem Jahr im Amt ist, sind dabei noch die geringsten Vorwürfe zu machen“, urteilt der VBE-Landesvorsitzende anlässlich der Ergebnisse der neuen VBE-Studie.
Vom 7. September bis 20. Oktober 2022 hat das Sozialforschungsinstitut forsa im Auftrag des VBE bundesweit 1.308 Schulleitungen, darunter 253 in Baden-Württemberg, zu den Themen Berufszufriedenheit und Gewalt gegen Lehrkräfte befragt. Da es sich um eine Längsschnittstudie handelt, sind Vergleiche zu früheren Erhebungen möglich. Die folgenden Angaben beziehen sind allein auf Baden-Württemberg, die Daten sind repräsentativ.
Gewalt gegen Lehrkräfte zieht an
An sechs von zehn Schulen (59 Prozent) kam es in den letzten fünf Jahren zu direkter psychischer Gewalt gegen Lehrkräfte, also zu Beschimpfungen, Bedrohungen oder Mobbing. Im Vergleich zu 2018 ist dies ein Anstieg um 14 Prozent. An jeder dritten Schule (33 Prozent) kam es zu Fällen von Cyber-Mobbing gegen Lehrkräfte – also zur Diffamierung, Bedrohung oder Nötigung über das Internet. Diese Zahl hat sich im Vergleich zu 2018 mehr als verdoppelt. Darüber hinaus wurden an jeder vierten Schule (25 Prozent) Lehrkräfte körperlich angegriffen, wurden also Lehrerinnen und Lehrer geschlagen, geschubst oder mit harten Gegenständen beworfen. 2018 berichteten dies 16 Prozent der Schulleitungen.
„Die Befunde sind erschreckend. Aber sie bilden die Realität an unseren Schulen ab. Die Zahl der gewalttätigen Übergriffe auf Lehrkräfte ist seit 2018 alarmierend angestiegen und hat sich auf einem besorgniserregend hohen Niveau eingependelt. Die Bedingungen stimmen einfach nicht: Zu viele Kinder in zu kleinen Klassenzimmern mit Lehrkräften, die aufgrund der Personalnot und der ständig wachsenden Aufgabenfülle völlig überlastet sind. Und dies alles bei einer stetig zunehmenden Heterogenität der Schülerschaft. Das kann nicht funktionieren!“, kommentiert der VBE-Landesvorsitzende die Ergebnisse.
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Mangelnde Unterstützung nach Gewaltvorfällen
Die Schulleitungen haben verstärkt das Gefühl, dass die Meldung von Gewaltvorfällen von den Schulbehörden nicht gewünscht ist: Nur noch jede vierte Schulleitung (23 Prozent) gibt an, dass mit dem Thema Gewalt gegen Lehrkräfte offen umgegangen wird. 2018 sagte dies immerhin noch fast die Hälfte der Befragten (45 Prozent). 2018 gab zudem die große Mehrheit von 85 Prozent der Schulleitungen an, dass es nach den meisten Gewaltvorfällen gelungen sei, die Kolleginnen und Kollegen wieder aufzufangen. Dieses Jahr sagen dies nur noch 46 Prozent der Befragten. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Fälle, die nur teilweise oder gar nicht aufgefangen werden können, von acht auf jetzt 35 Prozent mehr als vervierfacht.
Gerhard Brand: „Dies sind schlichtweg skandalöse Zustände. Anstatt das Thema offen anzugehen und die nötige Unterstützung anzubieten, wird ein Klima geschaffen, in dem Schulleitungen Angst vor einem Reputationsverlust ihrer Schule haben, wenn sie Gewaltvorfälle melden. Es gehört aber zur Fürsorgepflicht des Dienstherrn, seine Beschäftigten zu schützen. Alles andere ist unterlassene Hilfeleistung. Das Mindeste, was Lehrkräfte erwarten können, ist, dass sie ihrer Arbeit unbehelligt nachgehen und unversehrt wieder nach Hause gehen können. Lehrkräfte brauchen Schutz, und zwar jetzt.“
Schulleitungen benennen größte schulischen Problemfelder
Die Schulleitungen wurden offen und ohne jede Vorgabe danach gefragt, was derzeit die größten Probleme an ihrer Schule sind. Mit Abstand am häufigsten wird von über drei Vierteln der Schulleitungen (77 Prozent) der Lehrkräftemangel genannt. Dies ist eine dramatische Zuspitzung um 25 Prozent im Vergleich zum letzten Jahr (52 Prozent). Als zweitgrößtes Problem benennt fast die Hälfte (44 Prozent) der Befragten die Arbeitsbelastung und den Zeitmangel. Dies ist eine Zunahme von sechs Prozent im Vergleich zu letztem Jahr und eine Verdoppelung im Vergleich zum Jahr 2018. Auf Platz drei nennen außerdem 28 Prozent der Befragten die Themen Inklusion und Integration. Das sind genau doppelt so viele Nennungen als letztes Jahr.
„Die Probleme bedingen sich gegenseitig und resultieren aus jahrelanger Unterfinanzierung und politischer Fehlplanung. Wenn der Mangel an Lehrkräften zunimmt, steigt die Arbeitsbelastung und gibt es weniger Raum für die Umsetzung von Inklusion und Integration. Die Personalplanung ist und bleibt die entscheidende Stellschraube im Schulsystem, auch wenn dies manche Politiker nicht sehen wollen.“
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Berufszufriedenheit im Allzeittief
Über die Hälfte der Schulleitungen (53 Prozent) würde ihren Job aktuell nicht weiterempfehlen. Das sind doppelt so viele als 2018 und ist insgesamt der schlechteste Wert, der hier bisher gemessen wurde. Dazu erklärt Brand: „Diese Entwicklung ist schlicht verheerend. Es ist eine Abschreckung für alle Lehrkräfte, die darüber nachdenken, in Leitungsverantwortung einzutreten, sowie für alle Menschen, die mit dem Gedanken spielen, Lehrkraft zu werden.“
Forderungen
- Ausreichend Lehrkräfte, um die schulische Situation zu entlasten und individuelle Förderung zu ermöglichen.
- Entlastung von Schulleitungen und Lehrkräften von allem, was nicht zu ihrem pädagogischen Auftrag gehört.
- Multiprofessionalität an Schule muss Standard sein.
- Angesichts der Befunde zur Gewalt gegen Lehrkräfte:
- Verpflichtende Dokumentation von Gewaltvorfällen, die in Statistiken überführt und anonymisiert veröffentlicht wird.
- Unbürokratisch erreichbare Ansprechpartner und Dienstherren, die sich vor die Betroffenen stellen und Unterstützung leisten.
- Ein breites Fortbildungsangebot zum Thema Cybermobbing und zum Umgang mit Gewalterfahrungen.
- Auch hier: Unterstützung durch multiprofessionelle Teams.
Weiterführende Infos
Der VBE hat die forsa-Studie „Schule aus Sicht der Schulleitungen: Berufszufriedenheit und Gewalt gegen Lehrkräfte“ heute auf einer Landespressekonferenz im Medienzentrum des Landtags vorgestellt. Im Folgenden finden Sie:
- Den Redetext des VBE-Landesvorsitzenden Gerhard Brand
- Die forsa Ergebnis-Charts
- Den forsa Ergebnis-Bericht
- Die Studienergebnisse für Gesamtdeutschland finden Sie hier.