VBE: Vom Klassenzimmer zum Lernatelier

Mit der Gemeinschaftsschule hat eine neue Begrifflichkeit Einzug gehalten

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) Baden-Württemberg sieht mit einer gewissen Sorge, dass sich durch die Einführung der Gemeinschaftsschule auch die Begrifflichkeit des pädagogischen Vokabulars gewandelt hat, und Eltern zuweilen nicht verstehen, was ihre Kinder meinen, wenn sie von der Schule berichten. Hier sei noch viel behutsame Aufklärungsarbeit notwendig, so der VBE-Sprecher, da­mit nicht allein durch Verständnisprobleme eigentlich unnötige Ängste geschürt werden.

In Peter Bichsels Kurzgeschichte „Ein Tisch ist ein Tisch“ gibt der Protagonist, ein alter Mann, den Dingen neue Namen und glaubt, dass sich dadurch alles ändern werde. Das sei, so der Autor, jedoch keine lustige Geschichte, sondern eine traurige. Denn zum Schluss macht es dem alten Mann Angst, mit den Leuten zu sprechen, weil er sie nicht mehr verstehen kann, und auch die Leute ihn nicht mehr verstehen.

VBE Pressesprecher Michael Gomolzig
Michael Gomolzig, Sprecher des VBE

Wenn Eltern ihre Kinder, die heute in Gemeinschaftsschulen gehen, reden hören, ver­stehen auch sie so manches nicht mehr und benötigten eigentlich ein Glossar, um die gängigsten Begriffe dieser neuen Schulart richtig einordnen zu können. So halten sich die Schüler nicht mehr in einem Klassenzimmer auf, sondern in einem „Lernatelier“ oder in einem Lernbüro, wo ihnen Lernprojekte angeboten werden. Der Lehrer nimmt als Experte für fachliche Fragen die Rolle des „Lernbegleiters“ ein und initiiert bezie­hungsweise organisiert die „Lernprozesse“ der Schüler. Er schlüpft auch in die Rolle des „Lerncoachs“ und berät die „Lerner“ zu Fragen im Zusammenhang mit der indivi­duellen Lernentwicklung oder dem Erwerb personaler, sozialer und methodischer Kom­petenzen. Er steuert das kooperative Lernen und das differenzierte Arbeiten etwa mittels spezifischer Lernspiralen (nach Klippert).

Frontalunterricht wird durch „Inputphasen“ für die gesamte Lerngruppe – vormals Klasse – oder auch nur für einzelne Lerner abgelöst. Gemeinsame Klassenarbeiten mit herkömmlicher Notengebung werden nicht mehr geschrieben, sondern die auf drei Ni­veaustufen erworbenen Kompetenzen in Kompetenzrastern dokumentiert. Manche be­kannte Begriffe bekommen eine neue Bedeutung: so dürfen Schüler offiziell „Spick­zettel“ mit einer stark begrenzten Anzahl von Wörtern anfertigen, um für sich den Lern­stoff im Vorfeld klar zu strukturieren. Es wäre schade, wenn durch eine Überfrachtung mit zu vielen neuen Begrifflichkeiten das enorme Engagement der Lehrkräfte an Ge­meinschaftsschulen torpediert werden würde, so der VBE-Sprecher.

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