Gemeinschaftsschule: Arbeitsbelastung nicht länger verantwortbar

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„Die Arbeitsbelastung an der Gemeinschaftsschule hat ein Ausmaß erreicht, das nicht mehr verantwortbar ist. Besonders kritisch: Obwohl sich rund 60 Prozent der Lehrkräfte grundsätzlich mit der Gemeinschaftsschule identifizieren, wollen fast ebenso viele aufgrund der hohen Belastung die Schulart verlassen“, erklärt der Landesvorsitzende des VBE, Gerhard Brand, mit Blick auf die Ergebnisse einer neuen Umfrage. „Es droht eine massive Abwanderung von Fachkräften“, so Brand.

 

Es ist die bislang größte Umfrage zur Gemeinschaftsschule (GMS) in Baden-Württemberg. Vom 18. bis 25. April 2023 hat der VBE landesweit 734 Lehrerinnen und Lehrer der GMS zum pädagogischen Konzept, zur Arbeitsbelastung, zu schulpraktischen Problemlagen und möglichen Lösungen befragt.

Pädagogisches Konzept

Der Großteil der Lehrkräfte steht hinter dem pädagogischen Konzept der GMS: Fast zwei Drittel der Befragten (62 Prozent) befinden die pädagogischen Grundideen der GMS für gut. „Die Möglichkeit, sowohl die fachlichen als auch sozial-emotionalen Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen zu fördern, die enge Zusammenarbeit zwischen Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften und die lange Offenheit des gewünschten Schulabschlusses bieten eine hervorragende pädagogische Grundlage für eine erfolgreiche Zukunft. Die Gemeinschaftsschulen werden aber durch veraltete Rahmenbedingungen und eine krasse Überlastung der Kollegien massiv ausgebremst“, erklärt Brand.

Sehr hohe Arbeitsbelastung

Nur fünf Prozent der Befragten sagen, dass sich die Arbeitsbelastung an der eigenen Schule innerhalb des erwartbaren Rahmens halte. Dagegen berichten 95 Prozent von einer hohen (18 Prozent) oder sehr hohen (77 Prozent) Belastung. Sechs von zehn Lehrkräften (57 Prozent) beschäftigen sich sogar damit, aufgrund der hohen Belastung die Schulart zu wechseln. Gerhard Brand: „Das Land ist in der Pflicht, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und die Schulart als attraktiven Arbeitsplatz weiterzuentwickeln. Für das Coaching und die zu erstellenden Lernentwicklungsberichte etwa gibt es bislang keine Ressourcen, sondern es kommt auf den normalen Berg an Belastung oben drauf.“

Lernentwicklungsbericht zum Halbjahr überdenken

Die allermeisten Lehrkräfte (90 Prozent) sehen in der Menge der zu erstellenden Lernentwicklungsberichte eine zu hohe Arbeitsbelastung. Fast drei Viertel der Lehrkräfte (72 Prozent) sagen außerdem, dass beim Lernentwicklungsberichtzum Halbjahr der Arbeitsaufwand und der pädagogische Nutzen in keinem angemessenen Verhältnis zueinanderstehen. Drei Viertel der Lehrkräfte (76 Prozent) erklären, dass ein einfaches und standardisiertes Protokoll zu den ohnehin stattfindenden Standortgesprächen den Lernentwicklungsbericht zum Halbjahr ersetzen könnte. Gerhard Brand: „Eine Änderung der Leistungsrückmeldung zum Halbjahr kann zu einer spürbaren Entlastung führen und zwar ohne die Qualität der Feedbackkultur an der Gemeinschaftsschule zu beeinträchtigen.“

Coaching braucht Zeit

Das individuelle Lerncoaching von Schülerinnen und Schülern ist ein zentrales Merkmal der GMS. Also solches wird es auch an praktisch allen GMSen (95 Prozent) praktiziert. Bei knapp der Hälfte der Schulen (45 Prozent) wird das Coaching allerdings im Deputat der Lehrkräfte überhaupt nicht berücksichtigt. 2,0 Deputatsstunden für zehn zu coachende Schülerinnen und Schüler würden die Befragten durchschnittlich als angemessen erachten. Gerhard Brand: „Es ist und bleibt ein Paradox. Obwohl das Coaching fest in der Gemeinschaftsschulverordnung verankert ist, existiert keine Regelung bezüglich der zeitlichen Anerkennung dieser Tätigkeit.“

Mehr Poolstunden gefordert

Unterrichtsvorbereitung auf drei verschiedenen Niveaustufen, Planung selbstständiger Arbeitsphasen, Individualisierung und Differenzierung in oftmals inklusiven Unterrichtssettings, die nur sehr begrenzt durch Lehrkräfte aus dem SBBZ unterstützt werden können: Um dies alles leisten zu können, fordern die Lehrkräfte an erster Stelle eine höhere und passgenauere Zuweisung von Poolstunden (83 Prozent). Auf den weiteren Plätzen folgen mehr Zeit für die Vorbereitung von Unterrichtseinheiten (82 Prozent), moderne Lehrmaterialien (39 Prozent) und hochwertige Fortbildungen (38 Prozent). Gerhard Brand: „Damit sind die Handlungsfelder, auf denen die Lehrkräfte sich größere Anstrengungen vom Land wünschen, klar benannt. Wir können uns dem nur anschließen.“

Forderungen
  1. Lernentwicklungsbericht zum Schulhalbjahr in die sogenannten Standortgespräche integrieren.
  2. Mindestens zwei Deputatsstunden pro zehn zu coachende Schülerinnen und Schüler.
  3. Höhere und passgenauere Zuweisung von Poolstunden.
  4. Absenkung der Deputate und dadurch mehr Zeit für die Vorbereitung von Unterrichtseinheiten.
  5. Eine Lehrkräfteversorgung von mindestens 110 Prozent an den Schulen. Ergänzend braucht es mehr unterstützendes Personal in Form von multiprofessionellen Teams.
Weitere Infos

Die Studien-Ergebnisse finden Sie hier.

Infos des Kultusministeriums zum pädagogischen Grundkonzept der Gemeinschaftsschule finden Sie hier.