Sonntagabend, die Kinder sind im Bett und ich sitze mit meiner Frau auf dem Sofa. Der Tatort hat schon angefangen, jetzt aber schnell, sonst kommt man ja nicht mehr mit. In dieser Hektik vertippt sich meine Frau auf der Fernbedienung und wir landen irgendwo in den Untiefen des Programmverzeichnisses. „Was ist denn das? Ab 25 kommt ja sowieso nur noch Kruscht“, knurrt meine Frau. Gelandet sind wir bei einem Verkaufssender, der stolz eine Sondersendung „Nur noch drei Monate bis Weihnachten“ im September präsentierte, und das, obwohl es draußen noch fast 25 °C abends hat. Und dann dieses Phänomen. Fast so wie bei einem Unfall: Du willst nicht hinschauen, musst es aber.
Kruscht trifft es ziemlich gut. Irgendwelche Blinkekerzen und LED-Akku-Lichtle neben mehr oder minder geschmacklosem Deko-Kram. Furchtbar. Und dieser Moderator erst. Irgendwie erinnert mich das Geblubber, in dem er seine Waren anpreist, stark an verbalen Brechdurchfall. Hört der sich eigentlich mal selbst reden Apropos furchtbar und Weihnachten. Was mir immer in der Vorweihnachtszeit wahnsinnig auf den Wecker geht, ist die unglaubliche Hektik, in die alle Welt zu verfallen scheint.
Gefühlt ist mehrmals Weltuntergang an den Schulen: Am Jahres- und Schuljahresende
Überhaupt ist gefühlt bei uns Schulen sowieso zwei Mal pro Jahr Weltuntergang – am Schuljahresende und eben am Jahresende. Noten, Zeugnis, Konferenz hier und da, Elterngespräche noch und nöcher. Ich glau- be, wir alle könnten diese Liste noch problemlos fortsetzen. Am Jahresende trägt der Weltuntergang etwas andere Züge, das Resultat ist aber das gleiche. Dann kommt auch noch Neujahr und das mit den guten Vorsätzen (mehr Sport, gesünder leben und endlich mal abnehmen) klappt bei mir zumindest nicht so ganz. Also machen wir es dieses Jahr mal ganz anders. Keine guten Vorsätze für nach Weihnachten, sondern eher so etwas wie eine Art Hektikfasten in der Zeit davor. Einfach mal bewusst im Hier und Jetzt sein und eben nicht noch das und dann auch noch das und das. Meine Frau und ich diskutieren und fassen gemeinsam einen
Entschluss: Dieses Jahr werden wir die Vorweihnachtszeit bewusst gestalten. Mehr Ruhe und weniger Hektik, aber vor allem nicht wie sonst immer das Gefühl, vom Beginn der Weihnachtsferien quasi übermannt zu werden, dann krank in die Ferien zu starten und sich durchzuschleppen bis über den Verwandtenbesuchsmarathon hinaus in den Totalausfall.
Was es dazu braucht, ist ein Plan, also so etwas wie ein Verlaufsplan, meint meine Frau. Sie schnappt sich das iPad nebst Stift und skizziert den Ablauf der Vorweihnachtszeit, besser gesagt, sie erstellt einen Zeitplan mit Raster, um zu planen, welche Aktion zu welchem Zeitpunkt stattfindet und was eben nicht. Ich weiß jetzt nicht, ob das so ein Frauending ist, aber sie jedenfalls ist so eine Checklisten-Fanatikerin mit Häkchen dran und so. Ich würde ja viel lieber alles auf mich zukommen lassen, aber sie meint, das würde nur die Gefahr bergen, etwas Essenzielles zu verpassen. „Du könntest eine Flasche Rotwein aufmachen, dann beginnen wir das mit der Entschleunigung einfach jetzt schon mal“, meint sie.
Ich bin nicht unbedingt ein Freund davon, denn montags klingelt der Wecker schon sehr früh. „Es ist September. Mir ist noch nicht so nach Rotwein“, entgegne ich. „Ich mach uns lieber einen Tee.“ Damit falle ich glatt durch, von wegen September, Hitze und so. Also einigen wir uns auf ein Glas Rosé aus dem Kühlschrank. Meine Frau beginnt derweil, die Kacheln auf dem Pad zu schieben, die sie erstellt hat, und fertigt immer mehr neue davon an. Geschenke kaufen nach hier oder doch lieber zuerst mit den Kleinen backen, dann der Besuch bei irgendeiner Tante und auch noch die Gräber machen, sich mit ihren Freundinnen zum Weihnachtsessen treffen, Weihnachtsfeier Kollegium 1 und 2, die Liste aus Kacheln wird immer länger und länger. Irgendwie erkenne ich jetzt den Unterschied zu sonst eigentlich kaum noch.
Nebenher plappert der Typ im Fernsehen noch was von Spekulatius-Duftkerzen. Dem stelle ich mal jetzt die Luft ab, sonst wird das nichts mit der Konzentration. Das Zeitraster ist vollgepflastert und sie hat zunehmend Mühe, ihre Kacheln an den Wochenenden unterzubringen, weshalb das Raster inzwischen nicht mehr so sehr an einen Generalstabsplan erinnert, sondern eher an einen Scherbenhaufen aus Kacheln, zumindest als ihr endgültig die Samstage ausgehen. Sie beginnt, auf unter der Woche auszuweichen, was mich wiederum dazu veranlasst, meinen Kalender hervorzuholen. Konferenz hier und da, Dienstbesprechung, Jour fixe, Hilfeplangespräch, Termin mit dem Amt. Ich schüttle den Kopf. So wird das nichts.
Wir müssen nicht besser planen, sondern einfach Dinge mal bewusst nicht machen, meine ich dann.
„Du willst jetzt aber nicht ernsthaft über das Plätzchenbacken mit den Kleinen diskutieren“, fragt sie dann ziemlich erbost. Das meine ich dann eben nicht. Was ich meine, ist, bewusst schulische Dinge auch mal nicht an Nr. 1 zu setzen und zu versuchen, alles auch noch irgendwie reinzuquetschen. Also Termine vielleicht auch auf nach Weihnachten zu schieben, denn dort ist mein Kalender seltsamerweise noch relativ wenig gefüllt. Sich selbst mal bewusst Zeit zum Durchatmen zu genehmigen. Einfach mal andere Dinge zu machen und nicht immer nur zu planen und zu optimieren. „Dein Kollegium ist dir da bestimmt nicht böse“, meint sie. Also schiebe ich in der Planung rum und räume die Wochen direkt vor Weihnachten zumindest von dem leer, was ich selbst beeinflussen kann. Stattdessen setze ich dann Terminblöcke, damit mein Vorzimmer nicht etwa die Chance nutzt, sich an den Lücken zu freuen, um dann doch noch einen Termin einzubauen. Da bin ich mal gespannt, ob das funktioniert.
Und vor lauter Hängenbleiben in den Abgründen der Fernsehsender und dem ganzen Planen ist es jetzt einfach zu spät für den Tatort. Auch gut. Denn miteinander reden und planen ist sowieso viel schöner, als Bibi dabei zuzuschauen, wie sie einen Mörder dingfest macht, obwohl ich sie und ihren Kollegen mit dem berühmten Wiener Schmäh schon echt gerne mag.