Berufsorientierung: VBE-Umfrage unterstreicht Stellenwert der Betriebspraktika

Berufsorientierung

Die Berufsorientierung ist zwar eine Leitperspektive im Bildungsplan, aber doch eher ein Nischenthema, wenn man den Gesamtkontext der Sekundarstufe betrachtet. Die hohe Teilnahmebereitschaft an unserer Umfrage hat deshalb überrascht: Sie fiel mit rund 600 Rückmeldungen entgegen unserer Erwartungen recht groß aus. Ein Thema, das also bewegt und interessiert. Die BO wird an den Schulen des Landes offensichtlich ernst genommen und genießt einen hohen Stellenwert.

 

Der VBE Baden-Württemberg hat im Februar 2024 hat eine Befragung sowohl seiner Mitglieder als auch der Sekundarschulen des Landes zur schulischen Berufsorientierung (BO) durchgeführt.

Als Vorreiter und Wegbereiter in Sachen BO dürfen wir getrost die Haupt- und Werkrealschulen des Landes bezeichnen, an denen die intensive Begleitung der Schülerinnen und Schüler traditionell eine sehr große Rolle spielt. Allzu schade ist nur, dass die intensive Unterstützung der Schulen durch externe Expertinnen und Experten der Arbeitsagentur im Rahmen des Projekts Berufseinstiegbegleitung (kurz BerEb) inzwischen leider Geschichte ist. Aber auch die Real- und Gemeinschaftsschulen stehen den Haupt- und Werkrealschulen inzwischen in nichts nach. Auch hier ist BO nicht erst seit dem Bildungsplan 2016 fest verankert, sondern nimmt seit jeher einen hohen Stellenwert ein.

In Zeiten des allgemeinen Fachkräftemangels schieben dennoch Industrie, Handwerk und Handel viel zu oft den Schulen den Schwarzen Peter zu. Nicht selten in der irrigen Annahme, die Schulen würden zu wenig tun, weil zu wenige junge Menschen passgenau in der betrieblichen Ausbildung ankommen würden und auch die Abbrecherquote dort viel zu hoch sei. Ob dies aber tatsächlich der Fall ist, dürfen wir getrost bezweifeln. Welche Rolle spielen beispielsweise Praktika? Welchen Einfluss haben die Eltern? Und genügen die Bemühungen der Betriebe? All diese Fragestellungen galt es aus unserer Sicht einmal dringend einem Praxistest zu unterziehen und genau diejenigen zu fragen, die für den Bereich BO an den Schulen verantwortlich sind. Dazu haben wir zehn Fragen formuliert. Bei der Auswertung konzentrieren wir uns bewusst auf die unserer Meinung nach zentralen Befunde.

Frage 1: Wie bewerten Sie die Bedeutung von schulischen Betriebspraktika allgemein?

In der Umfrage bestätigt sich der herausragende Stellenwert betrieblicher Praktika: Fast 60 Prozent der Befragten benennen Betriebspraktika als den Kern der schulischen BO. Etwa 40 Prozent geben außerdem an, dass eine sinnvolle berufliche Orientierung viele weitere Bausteine benötigt.

Damit zeigt sich, dass ein verlässliches Modell zur beruflichen Orientierung (in allen Schularten) zwingend auf Realitätsabgleiche aus der Arbeitswelt angewiesen ist. Andere Bausteine und digitale Angebote im Rahmen der beruflichen Orientierung flankieren und ergänzen diesen Kern, können aber nachhaltige Praxiserfahrungen nicht ersetzen. Damit wird die VBE-Forderung nach einer flächendeckenden Verankerung betrieblicher Praktika als der zentrale Baustein beruflicher Praktika untermauert.

Frage 4: Unternehmen Betriebe Ihrer Ansicht nach genug, um den SuS Ausbildungsmöglichkeiten nahe zu bringen?

Nach den Aktivitäten der Betriebe im Prozess der BO gefragt, sagen vier von zehn Lehrkräften, dass diese ihre Bemühungen steigern müssen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und Alternativen sowie Chancen im Bereich betrieblicher Ausbildungen stärker ins Bewusstsein zu rücken.

Frage 6: Von welcher Häufigkeit und Dauer sollten Praktika, bezogen auf Klassenstufen, jeweils sein?

Nahezu die Hälfte der befragten Lehrerinnen und Lehrer spricht sich flächendeckend für jeweils zweiwöchige Praktika in den Klassenstufen 8 und 9 aus. Dies entspricht der Forderung des VBE BW zu einer Implementierung der Praktikumsdauer von jeweils zwei Wochen (BO-Konzept Sek 1, Säule II Praktika). Damit verbunden ist die Forderung, strukturell entsprechende Voraussetzungen zu schaffen, um die wichtige Begleitung der Praktika zu gewährleisten und Zusatzbelastungen zum Deputat abzubauen. (In Frage 10 sagt die Mehrheit der befragten Lehrkräfte, dass 30 bis 45 Minuten nötig sind, um einen Praktikumsbesuch als „wertvoll/ umfassend“ bezeichnen zu können.) Dies bezieht sich schlussfolgernd auch auf den Prozess der Auswertung und Reflexion der Erfahrungen hinsichtlich einer weiteren individuellen beruflichen Orientierung.

Frage 8: Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht der familiäre Einfluss bei der Berufswahl?

Fast 90 Prozent der Befragten erkennen den familiären Einfluss als wichtigen Faktor im Prozess der Berufswahl (neben 57 Prozent, die in Frage 5 auch der Schule eine entscheidende Bedeutung beimessen). Dies spricht für eine aktivere Einbindung der Eltern in den gesamten Prozess der BO. Mit dem Forschungsprojekt „BO4 parents“ will das Kultusministerium die Bedarfe hier regional erheben und wissenschaftlich begleiten, um langfristig durch Best Practice-Beispiele etwaige Maßnahmen für eine bessere Einbindung der Eltern weiterzuentwickeln. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings sollte auch dabei das Augenmerk auf praktikabler und unbürokratischer Antragstellung liegen.

Die systematische Einbindung der Eltern im Prozess der BO sollte derart gestaltet sein, dass dadurch keine weiteren Zusatzbelastungen außerhalb des Deputates entstehen.

Fazit

Praktika sind der zentrale Kern von BO. Mit deren Durchführung steht und fällt der BO-Prozess an den Schulen. Es verwundert kaum, dass man sich an den Schulen mehr davon wünscht. Das alleine genügt aber nicht. Die Bemühungen, die einzelnen Berufsfelder den Schülerinnen und Schülern näher zu bringen, müssen auf Abnehmerseite dringend intensiviert werden. Dazu braucht es nicht nur die schulische Begleitung der Schülerinnen und Schüler. Auch die Eltern müssen dringend intensiver eingebunden werden, denn deren Rolle wird leider allzu oft unterschätzt und die der Schule gleichzeitig überschätzt.

Die Anstrengungen seitens des Ministeriums das Thema BO in Zeiten eines akuten Fachkräftemangels nach vorne zu bringen, sind vielfältig und grundsätzlich sehr begrüßenswert. Das gilt auch für eine Vielzahl der neuen Angebote. An zwei grundlegenden Problemen werden diese jedoch nichts ändern. Die Vielzahl der Angebote müssen an den Schulen von Kolleginnen und Kollegen geprüft und umgesetzt werden. Wer dafür schon einmal verantwortlich war, weiß wie zeitaufwändig und arbeitsintensiv dies ist und genau das lässt sich eben nicht auf „viele Schultern“ übertragen. Einer oder eine muss den Job nämlich machen!

Das gilt auch für den Kern der BO, die betrieblichen Praktika. Wir müssen weg von Einzelaktionen und einer mehr oder minder gut ausgestalteten Angebotskultur in diesem Bereich. Verbindliche Praktika in der Sek 1 benötigen intensive Vorbereitung und Reflexion und eben zwingend eine qualitativ hochwertige Betreuung dieser durch die BO-Lehrkräfte. Nur dann werden Schülerinnen und Schüler in einer betrieblichen Ausbildung eine ernsthafte Alternative zu Schule und Studium sehen.

Wer die Leitperspektive BO ernst nimmt und mehr junge Menschen für Ausbildungen begeistern will, der sollte sich nicht damit zufriedengeben, möglichst viele neue digitale Formate anzubieten, der muss schlussendlich organisieren, wer diese Aufgaben konkret umsetzt und woher die dazu notwendigen Ressourcen kommen sollen!

Weitere Infos

Kultusministerium, mehrere Partner aus dem sogenannten Ausbildungsbündnis und weitere Institutionen haben ein Konzept für eine zukunftsfähigere Berufliche Orientierung erarbeit. Nähere Informationen dazu finden Sie hier. Der VBE Baden-Württemberg hat ein eigenes Konzept zur schulischen Berufsorientierung vorgelegt, dieses können Sie hier einsehen.