Beyer hilft weiter beim Thema: generelle Aufsichtspflicht im schulischen Bereich

Als Schulleiterin fühle ich mich für einen unglücklichen Vorfall an meiner Grundschule mitverantwortlich, obwohl ich krankheitsbedingt gar nicht anwesend war. Der Vorfall ereignete sich bei einem Arbeitseinsatz des Fördervereins auf dem Pausenhof unserer Grundschule. Was ist passiert? Einige Fördervereinsmitglieder hatten sich bereiterklärt, den Pausenhof der Schule mit Hüpfspielen zu verschönern. Leider fiel ich krankheitsbedingt an dem Arbeitseinsatz-Samstag aus. Meine Aufgabe wäre es gewesen, für die Verpflegung zu sorgen und ein Auge auf die Kinder zu haben. Infolge meiner Erkrankung hielt ich Rücksprache mit dem Vorstandsvorsitzenden. Dieser bedauerte meinen Ausfall, meinte aber, dass das Team schon zurechtkommen würde und sie den Arbeitseinsatz auf jeden Fall durchführen wollten. Die paar anwesenden Kinder würden sie beaufsichtigt bekommen. Essen und Getränke würde er besorgen. Es hat sich wohl dann doch niemand über längere Zeit für die Kinder zuständig gefühlt. Zwei von ihnen warfen jedenfalls mit Steinen auf einen Basketballkorb auf dem Nachbargrundstück. Dabei wurde mehrmals auch ein dort parkendes Fahrzeug getroffen. Die beiden sechsjährigen Zwillinge, haben zunächst alles abgestritten, nach eingehender Befragung das „Steine werfen“ dann aber zugegeben. Die Fahrzeugbesitzerin möchte nun gegen den Vater der Zwillinge auf Schadenersatz klagen. Da ich mich im Bereich Aufsichtspflicht nicht besonders gut auskenne, habe ich nun folgende Fragen: Wie ist das mit der Aufsichtspflicht im schulischen Bereich generell geregelt? Was gilt es zu beachten? Wer haftet im vorliegenden Fall?

 

Beyer hilft weiter…generelle Aufsichtspflicht im schulischen Bereich

Herzlichen Dank für Ihre Anfrage. Zunächst einmal Sie trifft keine Schuld, machen Sie sich bitte keine unnötigen Vorwürfe. Es war die Entscheidung des Fördervereinsvorsitzenden den Arbeitseinsatz durchzuführen und auf Ersatz zu verzichten. Hinsichtlich Aufsichtspflicht kann ich Ihnen gerne einige Grundsätze nennen und dann auch eine unverbindliche Einschätzung der Situation geben.

Bei der schulischen Aufsichtspflicht kann man einige Maßnahmen im Vorfeld ergreifen. Dies sind klare Verhaltensregeln mit Geboten und Verboten, zum Beispiel führt man Belehrungen durch, dokumentiert diese im Tagebuch, man weist auf Gefahrenquellen hin und kontrolliert konsequent. Diese Maßnahmen passt man hinsichtlich Alter und Reife, örtliche Gegebenheiten und die Disziplin der Klasse an. Doch auch Einsicht und Verantwortungsbewusstsein spielen eine große Rolle. Im schulischen Bereich gelten deshalb die Grundprinzipien vorausschauende Umsichtigkeit (klare Verhaltensregeln), ununterbrochene Beständigkeit (Schülerinnen und Schüler müssen sich nach Alter, Reife und Situation beaufsichtigt fühlen) und kontrollierende Nachdrücklichkeit (Einfordern von Abmachungen, Stichproben).

Nun zu meiner Einschätzung der Situation. Meiner Meinung nach darf ein sechs Jahre altes Kind nicht über mehrere Stunden unbeaufsichtigt auf einem Schulhof belassen werden. Zumindest eine regelmäßige Kontrolle halte ich für erforderlich. Hat diese nicht stattgefunden und kommt es zu einem Schaden, so begründet dies eine Haftung wegen Aufsichtspflichtverletzung.

Ich habe zwei Gerichtsurteile gefunden, die eine sehr ähnliche Situation beschreiben. In dem Fall hat ein Kind mit Holzstücken auf ein Auto geworfen, während der Vater an einer mehrstündigen Versammlung teilgenommen hat. Sie werden sich gleich wundern, zu welch unterschiedlichen Urteilen es kam.

Gerichtsurteil 1:

Das Landgericht wies die Klage auf Zahlung von Schadenersatz ab. Ein Anspruch nach § 832 BGB habe nicht bestanden, da dem Vater des sechsjährigen Kindes keine Aufsichtspflichtverletzung anzulasten gewesen sei. Gegen diese Entscheidung legte die Fahrzeugbesitzerin Berufung ein.

Gerichtsurteil 2:

Das Oberlandesgericht entschied zu Gunsten der Fahrzeugbesitzerin und hob die erstinstanzliche Entscheidung auf. Ihr habe ein Anspruch auf Schadenersatz zugestanden. Der Vater des sechsjährigen Kindes habe seine Aufsichtspflicht verletzt, indem er sein Sohn über mehrere Stunden auf dem Schulhof unbeaufsichtigt belassen hatte. Zwar müssen normal entwickelte Kinder im Alter des Sohnes des Beklagten nicht ständig beobachtet werden. Ein „Unbeaufsichtigtlassen“ über mehrere Stunden sei aber unzulässig. Ein Aufsichtspflichtiger müsse damit rechnen, dass Kinder im Grundschulalter Streiche begehen und sei deshalb verpflichtet eine regelmäßige Kontrolle vorzunehmen.

Nun hoffe ich, Ihnen zumindest einen ersten Einblick in das Thema Aufsichtspflicht und die Einschätzung der von Ihnen beschriebenen Situation gegeben zu haben. Weitere Erläuterungen finden Sie im VBE-Handbuch. Hier ist das Thema Aufsichtspflicht ausführlich beschrieben.

Walter Beyer, Stv. Landesvorsitzender