Beyer hilft weiter beim Thema Prokrastination

Sehr geehrter Herr Beyer, heute wende ich mich an Sie, weil Sie in Ihrer Rubrik vielen Kolleginnen und Kollegen bei Ihren individuellen Fragen und Problemen weiterhelfen. Vielleicht haben Sie mir auch bei meinem Problem ein paar Tipps, wie ich meinem eigenen Hamsterrad entkomme. Ich leide unter dem Problem des Aufschiebens, d.h. immer wieder gebe ich Korrekturen, Fachnoten, Zeugnisse oder generell fast alle Aufgaben verspätet ab. Ich lenke mich meist mit Smartphone, langen Telefongesprächen mit Familie und Freundinnen oder dem Putzen meiner Wohnung ab. Letztlich suche ich nach allerlei Ausflüchten, um meinen Aufgaben als Lehrkraft aus dem Weg zu gehen. Spät abends komme ich dann in Stress, da der Unterricht noch vorbereitet werden muss oder Korrekturen erledigt werden müssen. 

Immer öfter fehle ich inzwischen bei Konferenzen oder Dienstbesprechungen, da mir die Teilnahme an diesen zusätzlichen Druck macht und Zeit raubt. Meine Fehltage sind deutlich höher als die meiner Kolleginnen und Kollegen, da mir die Energie fehlt, zur Schule zu gehen. Inzwischen fühle ich mich auch im Kollegium nicht mehr richtig wohl, da ich ständig ein schlechtes Gewissen aufgrund meiner vielen Fehlzeiten habe.

Ich frage mich: Wie komme ich nur aus diesem Hamsterrad raus?

Viele Grüße
B. N.

Beyer hilft weiter:

Zunächst einmal sage ich vielen Dank für Ihre Offenheit und Ihr Vertrauen. Ihre Probleme, die Sie beschreiben sind gar nicht so selten und ungewöhnlich. Wer von uns macht sich denn zum Beispiel im privaten Bereich schon gerne an das Erledigen der Steuererklärung? Da ist es doch viel schöner auf dem Balkon in der Sonne zu sitzen, ausgiebig Zeitung zu lesen und einen weiteren Kaffee zu genießen.

Das Problem, welches Sie beschreiben wird „Prokrastination“ genannt. Dieser Begriff kommt aus dem Lateinischen. „Procrastinare“, bedeutet „Aufschieben“ oder auf Morgen verlegen, d.h. anstehende berufliche oder private Pflichten werden durch Ersatztätigkeiten hinausgezögert. 

An der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster gibt es eine „Prokrastinationsambulanz“.  Dort finden Studierende und Berufstätige Hilfe, die ein ernsthaftes Problem mit der Selbststeuerung haben. Diese Patienten schieben wiederholt und unnötig wichtige Tätigkeiten auf. Sie leiden unter psychischen und körperlichen Beschwerden.

Die Experten der „Prokrastinationsambulanz“ schätzen, dass etwa zehn Prozent der Bevölkerung von dem Störungsbild betroffen sind. Von ständigem Aufschieben im Alltag ohne schwerwiegende gesundheitliche Folgen sind sogar etwa 20 Prozent der Bevölkerung, also jeder Fünfte, betroffen.

Warum neigen so viele von uns zu Prokrastination?

Hier kann es mehrere Gründe geben:

  • Leistungsanforderungen gehen häufig einher mit Versagensängsten
  • Der Anspruch an die eigene Leistung ist zu hoch oder die Ziele sind unrealistisch
  • Ersatzhandlungen haben oft unmittelbare positive Konsequenzen. Sie sind schnell erledigt und das Ergebnis macht zufrieden.
  • Es fehlt ein Abgabedatum für die zu erledigende Aufgabe
  • Die Aufgabenstellung ist nicht eindeutig oder wenig vorstrukturiert oder sehr umfangreich
Was können Sie gegen Prokrastination tun?
  1. Priorisieren Sie! 

Schreiben Sie eine To-do-Liste und priorisieren Sie die Aufgaben mit A, B und C. Welche Aufgaben sind von hoher (A), mittlerer (B) und niedriger (C) Priorität. Arbeiten Sie die Aufgaben in dieser Reihenfolge ab und haken Sie erledigte Tätigkeiten ab. Das verstärkt das Gefühl, etwas erledigt zu haben. Der VBE BW hat dazu einen sehr tollen To-do-Block entwickelt.   

  1. Erstellen Sie eine genaue Planung mit folgenden hilfreichen Fragen:
  • Wo arbeite ich?
  • Wann möchte ich beginnen?
  • Wie viel Zeit werde ich brauchen?
  • Welches Ziel habe ich? (Was sind die notwendigen Schritte zu diesem Ziel?)
  • Welche Informationen brauche ich darüber hinaus und woher bekomme ich diese?
  1. Vermeiden Sie Störungen und teilen Sie große Aufgaben in kleine auf!

Finden Sie heraus, was und wer Sie beim Arbeiten ablenkt? Viele Störungen lassen sich vorab ausschließen. Bekommen Sie Hunger, vibriert Ihr Smartphone oder sind es die Familie oder die Kollegen, die Sie hindern, eine Aufgabe zu erledigen? Dann bereiten Sie eine kleine Mahlzeit vor, legen Sie Ihr lautlos gestelltes Handy für die Arbeitszeit weit weg. Ihren Kollegen oder Ihrer Familie können Sie beispielsweise mitteilen, dass Sie die nächsten zwei Stunden nicht ansprechbar sind, denn wer abgelenkt wird, braucht bis zu 30 Minuten, um die Aufgabe bzw. den roten Faden wieder aufzunehmen. 

Sind anstehende Aufgabe besonders anspruchsvoll und machen viel Mühe? Dann teilen Sie beispielsweise den Korrekturstapel in drei kleinere Häppchen, um dem großen Aufsatzstapel den Schrecken zu nehmen. 

Was kann Ihnen noch helfen?

Hinterfragen Sie Ihr Aufschieben, nutzen Sie Rituale, belohnen Sie sich und grenzen Sie Arbeit und Freizeit voneinander ab. Falls alle aufgezählten Tipps nicht zielführend sein sollten, dann sollten Sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Die Westfälische Wilhelms-Universität bietet einen Selbsttest für Prokrastination an. Damit erhalten Sie zumindest eine erste Einschätzung. Sie wissen danach mit großer Wahrscheinlichkeit, wie stark Ihr Verhalten ausgeprägt ist und ob es behandelt werden sollte. Häufig tritt das Prokrastinieren zusammen mit einer Depression auf, es kann aber auch die Begleiterscheinung einer Angststörung, von ADHS oder einer Psychose sein. In diesen Fällen sollte eine Psychotherapie, idealerweise eine kognitive Verhaltenstherapie als Behandlung erfolgen.

Einen letzten Hinweis habe ich dann doch noch. Falls Sie die Situation im Lehrerzimmer als sehr belastend empfinden, dann könnte ein Wechsel an eine andere Schule – mit einem damit verbundenen Neuanfang – unter Umständen hilfreich sein. Das können Sie aber selbst am besten einschätzen!

Nun wünsche ich Ihnen viel Erfolg beim Anwenden der Ratschläge und generell alles Gute!