Ich bin langjähriges VBE-Mitglied, seit vier Jahren Schulleiterin und bitte Sie heute um einen Rat in folgender Angelegenheit: Unser Schulträger möchte, dass wir auf Biegen und Brechen verbindliche Ganztagsschule werden. Wir Lehrkräfte sehen aber gar keinen Bedarf dafür. In unsere Ganztagsbetreuung gehen aktuell ca. 20% der Kinder. Die anderen 80% nehmen die Ganztagsbetreuung weder stunden- noch tageweise in Anspruch. Nun meine Frage, kann über den Kopf hinweg, also ohne Zustimmung der Lehrkräfte und der Eltern eine verbindliche Ganztagsschule eingerichtet werden? Ich habe gehört, dass die Schulkonferenz bei der Entscheidung nicht mehr mitwirken kann.
An dieser Stelle, habe ich einige Fragen: Stimmt das überhaupt und warum ist dies so? Kann ich die Entscheidung des Gemeinderates nicht doch noch irgendwie beeinflussen? Wie können wir als Schulgemeinschaft trotzdem mitgestalten und uns einbringen? Für eine rasche Rückmeldung wäre ich Ihnen sehr dankbar, denn das Thema soll bereits Ende in der nächsten Gemeinderatssitzung behandelt werden.
Beyer hilft weiter: Zunächst einmal möchte ich Ihnen einige grundsätzliche Regelungen erörtern. Das Gesetz zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter (Ganztagsfördergesetz – GaFöG) regelt die stufenweise Einführung des bundesweiten Ganztagsanspruchs ab dem Schuljahr 2026/27. Ab August 2026 haben alle Kinder der ersten Klassenstufe einen Anspruch auf ganztägige Bildung und Betreuung. In den Folgejahren wird der Anspruch auf die Klassenstufen 2 bis 4 erweitert, so dass ab dem Schuljahr 2029/2030 allen Kindern der ersten bis vierten Klasse der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung zusteht.
Was ist der Hintergrund dieser Entscheidung?
Mit dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter wird die Betreuungslücke geschlossen, die nach der Kita für viele Familien entsteht, wenn Kinder eingeschult werden. Kinder im Grundschulalter haben dann einen bedarfsunabhängigen Anspruch auf Ganztagsbetreuung im Umfang von acht Zeitstunden an fünf Tagen in der Woche. Die Unterrichtszeiten werden angerechnet. Der Rechtsanspruch wird im Achten Sozialgesetzbuch (SGB VIII) geregelt und gilt auch in den Ferien, dabei können Länder eine Schließzeit von maximal vier Wochen regeln. Eine Pflicht, das Angebot in Anspruch zu nehmen, gibt es nicht.
Meiner Ansicht nach gilt es in Ihrem Fall zunächst einmal gründlich zu analysieren:
- Welches Konzept wird zukünftig von den Eltern und Lehrkräften gewünscht?
- Was bedeutet eine Entscheidung in Richtung Ganztagsschule oder flexible Betreuung?
- In welcher Höhe können vom Schulträger Investitionen getätigt werden, falls Umbaumaßnahmen getätigt werden müssen?
- Was kann der Schulträger finanziell grundsätzlich in Betreuung oder Ganztag investieren?
- Wie haben sich die Anmeldezahlen über die Jahre entwickelt?
- Was kostet welches Konzept den Schulträger?
- Welche Fördermittel gibt es?
- …
Sie sehen bei einer Entscheidung müssen viele Gesichtspunkte berücksichtigt werden. An meiner Schule haben wir eine Abfrage bei Eltern und Lehrkräfte, aber auch bei den Eltern der Kindertageseinrichtungen gemacht und so den Bedarf festgestellt. Regen Sie doch eine derartige Abfrage ebenfalls bei Ihrem Schulträger an. Eine gemeinsame Informationsveranstaltung könnte ebenfalls Sinn machen, damit Eltern auf einen ähnlichen Stand gebracht werden können. Die Mitglieder des Gemeinderats sollten dann die Ergebnisse der Abfragen bei Ihrer Entscheidung einfließen lassen. Schließlich spiegeln die Abfragen den Lehrkräfte- aber vor allem den Elternwillen wider.
Nun komme ich zu Ihrer Frage, ob die Schulkonferenz kein Mitwirkungsrecht mehr hat?
Ja, das ist leider so. Die Schulkonferenz hat nur noch ein Anhörungsrecht, d.h. die Schulkonferenz muss vom Gemeinderat angehört werden. Das bisherige Mitspracherecht wurde mit der Änderung der Ganztagesgrundschulverordnung außer Kraft gesetzt.
Haben Sie trotzdem die Möglichkeit zur Mitgestaltung?
Natürlich können Sie durch Ihre Arbeit in den verschiedenen schulischen Gremien die Meinung und Interessen der Schulgemeinschaft eruieren und bei Gesprächen mit Schulträger und Gemeinderäten vertreten. Außerdem kann es einen Antrag auf Einrichtung einer Ganztagesgrundschule nur geben, wenn das zugrundeliegende pädagogische Konzept von der Gesamtlehrerkonferenz genehmigt wurde. Das letzte Wort hat jedoch immer das jeweils zuständige Regierungspräsidium.
Mein Fazit:
Sammeln Sie belastbare Umfrageergebnisse. Gehen Sie die Frage Ganztagsschule oder flexible Betreuung offensiv an und suchen Sie bereits im Vorfeld das Gespräch mit den Mitgliedern der Schulgemeinschaft, den Gemeinderatsmitgliedern und dem Schulträger.
Nun hoffe ich mit Ihnen gemeinsam auf eine gute Entscheidung zum Wohle der Schulgemeinschaft!
Walter Beyer, Stv. Landesvorsitzender