Anfang Februar ging, wie jedes Jahr, das Referendariat für die neuen Anwärterinnen und Anwärter los. Dann kam die Corona-Pandemie. Die drei Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter der Realschule der Heimschule St. Landolin in Ettenheim berichten aus einem Schulalltag mit Masken, Abstandsregeln – und Online-Unterrichtsstunden mit selbstgebauten Pultkameras und einem digitalen Schulleitungsbesuch.
„Guten Morgen zusammen, schön, dass so viele da sind. Wir machen einen kurzen Mikrofon-Check. Wer mich hört, gibt mir bitte einen „Daumen hoch“.“ Was eigentlich nach einem Tonstudio klingt, ist seit einigen Wochen das digitale Klassenzimmer. Seit Schulen in ganz Deutschland Mitte März schlagartig schließen mussten, hat sich einiges getan. Überall wird diskutiert, ausprobiert, es werden neue Wege gesucht, um Lernen in Zeiten der Corona-Pandemie möglich zu machen. Das ist nicht nur für die Schülerinnen und Schüler eine neue Situation, auch Eltern, Lehrkräfte und Schulleitungen mussten von einem Tag auf den anderen kreativ werden, um mit dieser besonderen Situation umzugehen.
An der Heimschule St. Landolin in Ettenheim, welche am Übergang der Rheinebene zum Schwarzwald liegt, verlief der Übergang von regulärem Schulbetrieb zu Online-Angeboten alles andere als glatt – doch dank des unglaublichen Einsatzes einiger Kolleginnen und Kollegen wurde direkt in den ersten Tagen der Schulschließung das Programm „Microsoft Teams“ für alle Schülerinnen und Schüler eingerichtet. Dadurch wurde es möglich, noch vor den Osterferien über Videokonferenzen zu unterrichten oder den Klassen Aufgaben über eingerichtete Gruppen – sogenannten „Teams“ – zukommen zu lassen.
Referendariat in Corona-Zeiten als Chance
Für uns Anwärterinnen und Anwärter ist diese Situation auch vollkommen neu. Doch sie bietet ungeahnte Chancen. Der Prozess der Schulentwicklung ist häufig langwierig und es fällt nicht leicht, sich beim Berufsstart aktiv einzubringen. Die durch Corona bedingte Situation sorgt jedoch dafür, dass jede und jeder sich einbringen und beim Aufbau und der Entwicklung der virtuellen Schule dabei sein kann. Gleichzeitig ergeben sich vielfältige neue Lernfelder. Der Umgang mit digitalen Medien wird notwendig – die Auseinandersetzung mit neuen Apps, Lernvideos und Online-Tools wird von Tag zu Tag mehr zum alltäglichen Handwerkszeug.
Als große Chance hat sich auch die kollegiale Unterstützung gezeigt – die „neuen“ Referendarinnen und Referendare, die im Lehrerzimmer auch gerne mal in der Masse verschwinden, sind plötzlich Ansprechpersonen für Schwierigkeiten mit der Technik. Über Gruppen-Chats wird sich vernetzt, es werden Probleme besprochen und Materialien ausgetauscht.
Durch die Online-Sitzungen mit den Klassen können Erfahrungen gemacht werden, die sonst nicht gemacht werden würden. So ist es doch sehr unwahrscheinlich, dass eine Lehrkraft im normalen Unterricht ihre eigene Pultkamera baut (siehe Bildcollage 1), um erarbeiteten Stoff zu visualisieren. Und da die Unterrichtsbesuche durch das Seminar im ersten Ausbildungsabschnitt wegfallen, haben die Anwärterinnen und Anwärter der Heimschule St. Landolin kurzerhand einen Schulleitungsbesuch im digitalen Unterricht stattfinden lassen – und somit die wichtige Erfahrung eines Unterrichtsbesuchs mit anschließender Reflexion erhalten.
Auch für die Schülerinnen und Schüler gibt es viele Vorteile durch das Homeschooling. Individualisierung spielt hier eine große Rolle. Die individuelle Rückmeldung an Schülerinnen und Schüler, die von der Wissenschaft wie Hattie oder Helmke schon sehr früh als zentrale Lernchance und wichtiger Indikator für “guten und wirksamen” Unterricht nachgewiesen werden konnte, ist derzeit zentral. Schülerinnen und Schüler der Heimschule St. Landolin bekommen alle Arbeitsblätter oder ganze Wochenpläne online, bearbeiten diese und stellen die Lösungen in der Plattform wieder online. Es besteht somit die Möglichkeit, jeder Schülerin und jedem Schüler eine individuelle Rückmeldung zu geben. Fehlermuster können so erkannt und eine individuelle Hilfestellung abgeleitet werde. Der Lernzuwachs kann besser verdeutlicht werden. Dadurch, dass alle Schülerinnen und Schüler in ihrem individuellen Tempo und in ihrer häuslichen Umgebung lernen können, lassen sich auch mögliche positive Auswirkungen auf die Gesundheit ableiten. Viele, vor allem jüngere Schülerinnen und Schüler, zeigen großes Interesse an digitalen Medien und sind deshalb besonders motiviert, am Unterrichtsgeschehen teilzunehmen. Das Ausprobieren einer neuen Technik und das selbstverantwortliche Lernen durch Wochenpläne bedeutet für viele mehr Verantwortung übertragen zu bekommen und dadurch auch an Selbstbewusstsein zu gewinnen.
Seit dem 4. Mai werden die Abschlussklassen wieder in der Schule in den Kernfächern und zum Teil in den Nebenfächern unterrichtet, doch auch hier ist alles weit entfernt von Normalität. Die Schülerinnen und Schüler halten den notwendigen Abstand zueinander ein. Wenn sie nicht an ihrem Platz sitzen, haben sie eine Maske auf. Auch das ist eine neue, befremdliche Situation. Doch für alle Lehrkräfte hat das den Vorteil, dass im Unterricht nur noch die Hälfte der Klasse sitzt. Dadurch ist ein intensiverer Austausch mit den einzelnen Schülerinnen und Schülern möglich. Man kann auf einzelne Antworten besser eingehen und die Beziehung zu der Klasse verstärken.
Referendariat: Doch natürlich sind nicht nur Vorteile vorhanden. Es gibt auch einige zu bewältigende Herausforderungen.
Obwohl an der Heimschule versucht wird, möglichst viele Nebenfächer zu unterrichten, können bestimmte Fächer, wie beispielsweise Sport, nicht stattfinden. Außerdem fehlen zentrale Unterrichtserfahrungen: Wir Referendarinnen und Referendare haben nicht die Möglichkeit vor der Klasse zu stehen und unser Auftreten zu optimieren. Außerdem fehlt uns die Erfahrung mit realen Unterrichtsstörungen adäquat umzugehen, da diese während des Online-Unterrichts häufig nicht ersichtlich sind. Verschiedene Methoden, wie das kooperative Lernen, können im Online Unterricht nur schwierig angewendet werden. Das hat große Nachteile für die Theorie-Praxis-Verknüpfung: Während wir im Seminar kooperatives Lernen theoretisch lernen, fehlt die praktische Umsetzung vor der Klasse.
Die allgemeine Sicht auf den Online-Unterricht zeigt uns außerdem, dass viele Schülerinnen und Schüler, die sich vielleicht schon im normalen Unterricht nur ungern beteiligten, im virtuellen Raum die Möglichkeit haben, völlig zu verschwinden. Sie dürfen frei entscheiden, ob sie ihre Kamera anschalten. Von manchen bekommt man deshalb sowohl visuell als auch auditiv während des Online-Unterrichts kaum etwas mit. Hinzu kommt, dass die Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler sehr different ausgeprägt ist. So haben derzeit all jene den Vorteil, die über eine hohe Selbstständigkeit oder ein technisch gut ausgestattetes Bildungshaus verfügen. Gerade bei jüngeren Schülerinnen und Schülern spielt die Unterstützung der Eltern noch eine große Rolle. Immer häufiger bemerkt man, dass Eltern die Kinder auch während des Online-Unterrichts mit Ratschlägen unterstützen und es dabei natürlich nur gut meinen. Dadurch profitieren die Eltern auch – wann sonst bekommt man als erwachsener Mensch mal wieder den Satz des Pythagoras zu behandeln=).
Homeschooling ist für einige Schülerinnen und Schüler herausfordernd, denn nicht alle sind erreichbar, haben schlechten Internetzugang oder kein adäquates Endgerät. Die Frage nach Chancengerechtigkeit und sozialer Ungleichheit rückt noch stärker in den Fokus als davor. Viele Eltern sowie Schülerinnen und Schüler sind mit der Menge an Arbeitsblättern, dem Ausdrucken und dem Hochstellen von bearbeiteten Aufgaben überfordert. Zur optimalen Orientierung in der virtuellen Heimschule, ein für die meisten völlig neues digitales Medium, wäre natürlich mehr Zeit für eine gemeinsame Einübung der neuen Technik sinnvoll gewesen. Wir sind der Meinung, dass Digitalisierung, wie das diesjährige Deutsch-Kompendium „Herausforderung Digitalisierung“ so schön vorgibt, zwar eine Herausforderung darstellt, aber durchaus machbar ist.
Wir als Schule haben uns diesen Herausforderungen gestellt und mithilfe von schulinternen Fortbildungen, Coachings von Eltern, Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern und vor allem mit viel Zeit, Geduld und Engagement die Möglichkeit bekommen, auch in Zeiten von Corona adäquat beschulen zu können.
Fazit zum Referendariat während Corona
Ganz klar ist: Sowohl die Corona-Pandemie, als auch das Referendariat sind eine schwierige Zeit. Dass momentan beides zusammentrifft ist nicht besonders günstig. Es gibt für uns einige Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Aber wir lernen im Hinblick auf Digitalisierung von Tag zu Tag mehr dazu: die Organisation von digitalem Unterricht, das Erstellen von verständlichem Material für eigenverantwortlich lernende Schülerinnen und Schüler, die individuelle Beziehungsarbeit und den großen Anteil der Elternarbeit. Trotz aller Probleme wächst die Schule an diesen Herausforderungen, und wir haben die große Chance an diesem Wachstum teilzuhaben.
Katharina Siefer, Julia Becker, Joschka Geldner