Die Ergebnisse der diesjährigen DKLK-Studie liegen vor und sind teils erschreckend. Über 1.600 Kitas in Baden-Württemberg haben im letzten Jahr in mehr als der Hälfte der Zeit in aufsichtspflichtrelevanter Personalunterdeckung gearbeitet. Das sind doppelt so viele wie noch 2021. Diese Kitas konnten den Betrieb an mehr als jedem zweiten Tag nur unter Gefährdung der Sicherheit der zu betreuenden Kinder aufrechterhalten. An jeder vierten Kita haben Mitarbeitende als Konsequenz des Personalmangels gekündigt.
Neun von zehn Kitaleitungen geben außerdem negative Auswirkungen des Personalmangels auf die pädagogische Qualität an. „Die Entwicklung ist ebenso rasant, wie sie beängstigend ist. Wenn wir es nicht einmal mehr schaffen, die Aufsichtspflicht sicherzustellen, dann wissen wir, wie es um die Qualität der frühkindlichen Bildung und Erziehung bestellt ist“, konstatiert de VBE-Landesvorsitzende Gerhard Brand mit Blick auf die drastischen Studienergebnisse.
Über 3.100 Kitaleitungen haben in Baden-Württemberg an der repräsentativen DKLK-Studie 2023 teilgenommen. Der VBE hat die Studie gemeinsam mit seinem Partner FLEET Education unter wissenschaftlicher Leitung von Herrn Dr. Andy Schieler von der Hochschule Koblenz durchgeführt. Ein Teil der Fragen wurde bereits in den DKLK-Studien 2021 und 2022 gestellt, so dass entsprechende Zeitvergleiche möglich sind. Da die Studie bundesweit durchgeführt wurde, sind auch Vergleiche mit anderen Bundesländern möglich.
Wahrgenommene Wertschätzung durch die Politik im freien Fall
Eine große Mehrheit von über 85 Prozent der Kitaleitungen fühlt sich jeweils durch die Eltern, die Mitarbeitenden und die Kinder wertgeschätzt. „Dies zeugt von einem außerordentlich hohen Zusammenhalt in den Kitas. Und es zeigt, dass der Beruf und gerade die Arbeit mit Kindern eine sehr erfüllende Seite haben“, erklärt der VBE-Landesvorsitzende. Er fügt hinzu: „Es ist nicht der Beruf an sich, der vielen Kitaleitungen zu schaffen macht. Es sind die immer schlechteren Rahmenbedingungen und die fehlende Unterstützung der politisch Verantwortlichen“.
Letztes Jahr fühlte sich immerhin noch knapp die Hälfte (45 Prozent) der Kitaleitungen durch die Kommunalpolitik wertgeschätzt. Dieses Jahr ist sind es nur noch 36 Prozent. Durch die Landespolitik beziehungsweise Bundespolitik fühlten sich letztes Jahr jeweils 23 beziehungsweise 20 Prozent der Kitaleitungen wertgeschätzt. Dieses Jahr sind es nur noch 15 beziehungsweise 12 Prozent. „Dies sind die schlechtesten Werte, die wir bisher gemessen haben. Für das so wichtige Thema der Fachkräftegewinnung und -bindung ist dies mehr als nur ein Warnsignal. Es zeigt, dass die Kitas von der Politik deutlich mehr Unterstützung erwarten“, so Brand.
Zeit für Leitung
Den Kitaleitungen in Baden-Württemberg steht weitaus weniger Leitungszeit zur Verfügung als den Kolleginnen und Kollegen in anderen Bundesländern. Bei 60 Prozent der Befragten liegt die Zeit, die sie im Kita-Alltag für Leitungsaufgaben aufwenden weit über der vertraglich fixierten Leitungszeit. In den restlichen Bundesländern ist dies dagegen nur bei 39 Prozent der Befragten der Fall. Gerhard Brand: „Das Kultusministerium wird nicht müde zu betonen, dass die Leitungskräfte eine Schlüsselrolle in der frühkindlichen Bildung einnehmen. Das Land schafft es aber nicht, diese Aussage in einer angemessenen Leitungszeit zu übersetzen, im Gegenteil.“
Aufsichtspflichtverletzungen immer drastischer
Fast alle Kitaleitungen (94 Prozent) berichten, im letzten Jahr zeitweise mit einer Personalunterdeckung gearbeitet zu haben – also mit weniger Personal als sie gemäß den gesetzlichen Vorgaben zur Wahrung der Aufsichtspflicht benötigen. Das ist der schlechteste Wert, der hier bisher gemessen wurde.
Ein gutes Drittel der Befragten (36 Prozent) sagt sogar, dass in über 40 Prozent der Zeit die für die Aufsichtspflicht notwendige Minimalbesetzung nicht vorhanden war. Das ist eine Verdoppelung zu 2021, als dies 18 Prozent sagten. Bei etwa jeder sechsten Kita (17 Prozent) ist dies sogar in über 60 Prozent der Zeit der Fall, also an mindestens drei von fünf Werkstagen. Hochgerechnet sind dies rund 1.640 Kitas in Baden-Württemberg. 2021 waren es noch acht Prozent der Kitas. In den Daten zur Personalunterdeckung zeigt sich kein Unterschied zwischen Trägern, es handelt sich also um eine trägerübergreifende Herausforderung.
Gerhard Brand: „Angesichts dieser erschreckenden Ergebnisse erhalten wir auch eine Ahnung davon, unter welch immensem Druck die Erzieherinnen und Erzieher tagtäglich stehen. Denn sie sind es, die im Schadensfall die Verantwortung und die haftungsrechtlichen Konsequenzen tragen.“
Personalmangel schränkt Kita-Betrieb in Baden-Württemberg massiv ein
Der Personalnotstand hatte dramatische Auswirkungen auf den Kita-Betrieb der letzten zwölf Monate:
- Rund neun von zehn Kitas mussten pädagogische Angebote streichen. An fast ebenso vielen Kitas sind die Mitarbeitenden mit der pädagogischen Arbeit unzufrieden.
- An sieben von zehn Kitas kommt es zu erhöhten Fehlzeiten des Personals infolge der gestiegenen Belastung. An jeder vierten Kita gab es Kündigungen von Mitarbeitenden als Konsequenz des Personalmangels.
- Jede zweite Kita musste Gruppen zusammenlegen, fast jede dritte Einrichtung sogar Gruppen schließen und an vier von zehn Kitas mussten Notgruppen gebildet werden.
- Sechs von zehn Kitas mussten die Öffnungszeiten zeitweise oder dauerhaft reduzieren. Etwa jede achte Kita musste zumindest zeitweise ganz schließen.
Gerhard Brand: „Die Ergebnisse könnten drastischer kaum ausfallen und sie machen eines unmissverständlich klar: Wir befinden uns an einem Kipppunkt. Wenn die Politik sich nicht zu massiven Investitionen durchringen kann, können wir erreichte Standards an den Kitas nicht mehr halten. Der Personalmangel gefährdet die verlässliche Ganztagesbetreuung und damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – mit allen Konsequenzen für die soziale Teilhabe von Frauen, Alleinerziehenden und finanzschwachen Familien. Gefährdet ist aber auch die pädagogische Qualität mit allen Konsequenzen für die sprachliche, motorische und emotionale Entwicklung der Kinder, die Partizipation und Integration sowie die eigentlich so wichtige Vorbereitung auf die Schule. Der im Sozialgesetzbuch VIII § 22 festgeschriebene Kernauftrag von Kita, die ‚Förderung der Entwicklung des Kindes zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit durch die pädagogische Arbeit in Kitas‘ ist massiv bedroht.“
Potentiale der Personalgewinnung und -sicherung
Das größte Potential zur Gewinnung und Bindung von Personal sehen die Kitaleitungen in einer besseren Bezahlung der Mitarbeitenden. Auf den weiteren Plätzen folgen: Schaffung neuer (Ausbildungs-)Stellen, Entwicklung der beruflichen Perspektive, Gesundheitsprävention, Flexibilisierung der Arbeitszeit, bessere Zusammenarbeit mit Fach-/Hochschule und Entfristung von befristeten Arbeitsverträgen.
Gerhard Brand: „Damit sind die Handlungsfelder aus Sicht der Kitaleitungen klar benannt. Nun gilt es für die Politik, aus ihrem Dornröschenschlaf zu erwachen und das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Mit dem Direkteinstieg allein ist es jedenfalls nicht getan.“
Forderungen
- Schnelle und unbürokratische Entlastung von allen nicht-pädagogischen Aufgaben durch Verwaltungs- und Hauswirtschaftskräfte, damit sich Kitaleitungen und pädagogische Fachkräfte auf ihren Kernauftrag konzentrieren können.
- Nachhaltige Investitionen in eine wahrnehmbare Verbesserung der Arbeitsbedingungen unter anderem in Bezug auf eine faire und gute Bezahlung, Maßnahmen der Gesundheitsprävention, eine grundsätzlich und angemessen vergütete Ausbildung, Fort- und Weiterbildungen sowie eine Anpassung der vertraglich fixierten Leitungszeit an den tatsächlichen Bedarf.
- Das KiTa-Qualitätsgesetz muss mit angemessenen finanziellen Ressourcen unterlegt sein. Aufgrund der massiven Finanzierungslücke im frühkindlichen Bereich ist es notwendig, dass der Bund in deutlich größerem Umfang und dauerhaft in das Kita-System finanziert und dies als nationale Aufgabe versteht.
- Eine von Bund, Ländern, Kommunen und Trägern abgestimmte Fachkräfteoffensive. Diese muss die Ausweitung der Ausbildungskapazitäten an Fach- und Hochschulen, das Angebot adäquater Entwicklungsperspektiven für ausgebildete Fachkräfte und die leichtere Anerkennung ausländischer Abschlüsse einbeziehen.
- Den unterstützenden Auf- und Ausbau multiprofessioneller Teams, um Inklusion, Integration, Partizipation und die insgesamt immer höheren Anforderungen an das System Kita bewältigen zu können.
Hintergrund
Die DKLK-Studie 2023 ist eine Umfrage von FLEET Education Events in Kooperation mit dem VBE Bundesverband sowie den vier VBE Landesverbänden, dem VBE Baden-Württemberg, dem Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV), dem VBE Nordrhein-Westfalen und dem VBE Hessen unter wissenschaftlicher Leitung von Dr. Andy Schieler von der Hochschule Koblenz. An der Umfrage haben bundesweit 5.387 Kitaleitungen teilgenommen, so viele wie nie zuvor. Der Deutsche Kitaleitungskongress ist eine gemeinsame Veranstaltung von FLEET Education Events, dem VBE Bundesverband und den vier genannten VBE Landesverbänden.
Weitere Infos
Die Ergebnisse der DKLK-Studie 2023 für Baden-Württemberg hat der VBE-Landesvorsitzende Gerhard Brand heute im Medienzentrums des Landtags vorgstellt. Nachfolgend finden Sie: