Eine stabile Quote – eine differenzierte Betrachtung

Lernverlaufsdiagnostik mit quop

Die Arbeit an den Schulen des Landes wird immer anspruchsvoller. Diesen Satz würde vermutlich nahezu jede Lehrkraft unterschreiben. Die Ursachen hierfür sind schnell gefunden: Zum einen hängt dies sicher mit der Bewältigung der Corona-Defizite (egal ob fachlicher oder sozial-emotionaler Natur) zusammen. Zum anderen aber auch mit einer deutlichen Zunahme an Dokumentation, Beratung und Begleitung nicht nur der Schülerinnen und Schüler, sondern verstärkt ebenso der Eltern.

Darüber hinaus wird zugleich die Gestaltung des Unterrichts durch die enorme Spannbreite der Kinder und Jugendlichen, die in den Klassen sitzen, immer aufwendiger. Dies gilt traditionell schon immer für die Grundschule, seit dem Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung (GSE) allerdings zunehmend ebenfalls für den Bereich der Sekundarstufe – wie wirkt sich dies nun tatsächlich auf die Bildungslandschaft aus?

Das Kultusministerium hat im März die Übergangsdaten auf die weiterführenden Schulen bekannt gegeben. Insgesamt hat sich der Trend der beiden letzten Vorjahre weiter fortgesetzt.  Die Zahlen haben sich deutlich stabilisiert. Unmittelbar nach dem Wegfall der verbindlichen GSE war zunächst relativ viel Dynamik im Anmeldegeschehen. Man konnte den Eindruck gewinnen, als wollten Eltern bewusst eben nicht GSE-konform anmelden. Diese Entwicklung hat sich mittlerweile ein gutes Stück normalisiert und zeigt somit auf eindrucksvolle Weise, dass offensichtlich alle Schularten in unserer Bildungslandschaft ihre Berechtigung haben und einen wichtigen Beitrag hin zu einem erfolgreichen Start ins berufliche Leben leisten.  Dennoch bleibt insgesamt ein leichter Trend hin zum Gymnasium erkennbar.

Welche GSE haben die Grundschulen ausgegeben?
Anteil Gym-GSE Anteil RS-GSE Anteil HS/WRS-GSE
51,3% 27% 21,7%

Wohin gehen die Schülerinnen und Schüler?

Schulart Quote 2021/2022 Quote 2020/2021
Gymnasium  44,1% 42,5%
Realschule 33,6% 34,6%
Haupt-/Werkrealschule 5,7% 6,3%
Gemeinschaftsschule 13,4% 13,6%

Es scheinen also alle Schularten mehr oder weniger ihren Platz gefunden zu haben. Besonders erfreulich ist, dass die Haupt-/Werkrealschule sich nach einem deutlichen Abwärtstrend in den Jahren nach 2011/2012 stabilisiert hat. Diese Schulart hat also nach wie vor, trotz mancher Unkenrufe, ihre Akzeptanz und damit auch ihre Berechtigung.

Die Gemeinschaftsschule hat sich fest in der Bildungslandschaft etabliert. Sie ist nicht nur akzeptiert, sondern auch bei der Elternschaft nachgefragt. Der Dauerläufer unter den Sekundarschularten ist und bleibt die Realschule, die seit Jahren auf einem konstant hohen Niveau nachgefragt wird. Von Auslaufmodell kann hier also folglich keine Rede sein, auch wenn dies von manchen Ideologen so gesehen wird. 

Wie setzt sich die Schülerschaft zusammen?

Betrachtet man die Schularten differenzierter nicht nur nach Quote, sondern auch in Abhängigkeit von der GSE ergibt sich an mancher Stelle ein überraschendes Bild.

Schulart Gym.-Empfehlung RS-Empfehlung HS-Empfehlung
Gymnasium  90,6% 8,5% 0,9%
Realschule 25,2% 54,1% 20,7%
Haupt-/Werkrealschule 1,3% 8,8% 89,9%
Gemeinschaftsschule 12% 28,2% 59,8%

 Es zeigt sich, dass man das Wehklagen über das konsequent sinkende Niveau an den Gymnasien und die immer anspruchsvollere pädagogische Arbeit dort mit nicht GSE-konform angemeldeten Kindern objektiv eher weniger nachvollziehen kann. Dass Eltern dort in Scharen ihre HS-empfohlenen Kinder anmelden würden, bleibt eine Mär. Dann hätten wohl eher die Kolleginnen und Kollegen an den Haupt-/Werkrealschulen Anlass zur Klage über die zu vielen weit zu klugen Kinder, die dort fälschlicherweise angemeldet würden.  Auch die Zahl der RS-empfohlenen Kinder an Gymnasien ist rückläufig. Warum an Gymnasien Differenzierungs- und Förderstunden in so hohem Maße vom Land zur Verfügung gestellt werden und im Bereich der Grundschule hingegen so gut wie nichts, gerade also dort, wo die Klientel systembedingt am heterogensten ist, darf man getrost hinterfragen. 

Mit die größte Spannbreite und heterogenste Klientel bedienen die Kolleginnen und Kollegen an den Realschulen des Landes. Interessant ist es hier auch, dass es den Kollegien dort gelingt, immerhin die Hälfte der HS-Empfohlenen am Ende dann doch in den Bereich des Realschulabschlusses zu bringen. Der Anteil der ursprünglich Gym-empfohlenen Kinder ist in diesem Jahr nochmals deutlich gestiegen. Eltern scheinen also begriffen zu haben, dass das G9 bereits flächendeckend in Baden-Württemberg existiert.

Genauso erfreulich ist es, dass eine zunehmende Zahl von Eltern ihre Kinder mit einer Gym-Empfehlung an den Gemeinschaftsschulen anmeldet. Eltern scheinen also begriffen zu haben, dass viele Wege nach dem Rom der Bildungsabschlüsse führen können und zwei davon neben der Realschule und dem G9 via beruflichem Schulwesen auch die Gemeinschaftsschule bietet, denn immer mehr Gemeinschaftsschulen können auch eine gymnasiale Oberstufe anbieten. Die Gemeinschaftsschule löst sich damit immer mehr vom Image der Hauptschule 2.0, wie sie immer noch von konservativen Hardlinern gerne verunglimpft wird.

Beratung und Begleitung – wichtiger als je zuvor

Die intensive Beratung und Begleitung der Eltern an den Grundschulen zeigt also offensichtlich Wirkung. Dennoch vertritt der VBE die Ansicht, dass genau dies anhand weiterer Elemente deutlich gestärkt werden sollte. Das Konzept des VBE Die Grundschulempfehlung braucht mehr Gewicht baut genau auf dieser zentralen Säule Beratung auf. Es versucht auch die Einschätzung der Eltern noch mehr zu objektivieren und zu intensivieren. Für den VBE ist klar:

  • Die GSE bleibt unverbindlich.
  • Die Einführung von zentralen Klassenarbeiten in Klassenstufe 4 dient zusätzlich der Objektivierung des Leistungsvermögens. Das Ergebnis muss der weiterführenden Schule mitgeteilt werden.
  • Im Dissensfall braucht es ein verbindliches gesondertes Beratungsverfahren. Das Ergebnis muss der weiterführenden Schule mitgeteilt werden.
  • Die Vorlage der GSE an den weiterführenden Schulen hat sich bewährt und muss deshalb unbedingt beibehalten werden.

Ebenso wichtig ist es, dass eine Datenweitergabe von Berichten, besonderen Maßnahmen oder spezifische Fördermaßnahmen von den Grundschulen an die weiterführenden Schulen unbedingt möglich werden muss. Die Weitergabe dient letzten Endes dem Wohl der Kinder und keinesfalls deren Stigmatisierung. 

Je früher Eltern begreifen, wie durchlässig unser Bildungssystem ist und das mit einer Wahl einer bestimmten Schulart eben nicht schon eine bestimmte berufliche Laufbahn vorgeprägt ist, desto besser. Auch wenn Eltern begreifen, dass es darum geht, die Wahl der Schulart eben nicht nach dem eigenen Gusto, sondern nach den Bedürfnissen des Kindes auszuwählen. Deshalb ist es gut, dass wir hier eine so weite Bildungslandschaft mit unterschiedlichen pädagogischen Ansätzen in den Schularten haben.

Für diese immense Leistung der Kolleginnen und Kollegen braucht es zudem endlich eine Anerkennung in Form von Zeit, damit diese intensive Beratung und Begleitung auch tatsächlich leisten können. Dies gilt für die Kollegien an den Grundschulen und den weiterführenden Schularten. Denn die Aufgabe der Beratung und Begleitung ist ein kontinuierlicher Prozess, der sich nicht nur auf den Übergang von der Grundschule auf die weiterführende Schule beschränkt.

Dirk Lederle, Stv. Landesvorsitzender