Grundsätzlich begrüßt der VBE die evidenzbasierte Einführung von BISS-Transfer BW. Gerade in Anbetracht der aktuellen Ergebnisse der Iglu-Studie zur Lesefähigkeit der Kinder in der 4. Klasse ist eine Leseförderung in der Grundschulzeit zur Verbesserung der Lesekompetenz zwingend erforderlich. Das Konzept der Lautlese-Tandems hat in Hamburg eine deutliche Verbesserung der Lesefertigkeit bei den Grundschulkindern erzeugt. Eine verbindliche Lesezeit von wöchentlich zweimal 20 Minuten soll daher auch in Baden-Württemberg die Lesekompetenz verbessern.
Anfangs ein freiwilliges Angebot für die Grundschulen im Land. Aber der Start in diesem Schuljahr lief schon nicht rund. An der Kick-off-Veranstaltung konnten nicht alle interessierten Schulen teilnehmen, da die Technik überfordert war. Es musste nachgesteuert werden. Die im Kollegium bestimmten Kooperationslehrkräfte für BISS-Transfer, die anfangs nur die Materialplattform nutzen konnten und das System im Kollegium etablieren sollten, bekamen keine Anrechnungsstunde durften sich aber stundenlang durch diese unstrukturiert aufgebaute Plattform kämpfen, um das Material für die Lehrkräfte zu sichten und weiterzugeben. Lernstände sollten regelmäßig erfasst werden, um Erfolge festzuhalten. Dafür gibt es aber kein passendes Format. Die Schulen werden hier mit ihrem bisherigen Förderkonzepten allein gelassen.
Die ersten Fortbildungen für das sich engagiert angemeldete Kollegium waren ernüchternd und hinterließen bei manchen Kollegen den Anschein nochmals in der Grundausbildung der Deutschpädagogik an der Hochschule zu sein.
Gleichzeitig werden nun aber den anderen Grundschulen das Messer auf die Brust gesetzt. Grundschulen, die nicht an BISS-Transfer BW teilnehmen möchten, sind verpflichtend ihr bisheriges Konzept dem Schulamt vorzulegen. Verantwortlich dafür ist natürlich wieder die Schulleitung. Der Druck wird durch die jährlichen Ziel- und Leistungsvereinbarungen noch erhöht. Hier muss ein Zeitplan und ein Maßnahmenkatalog vorgelegt werden. Im Notfall muss sich die Grundschule an BISS-Transfer BW beteiligen, ob sie will oder nicht.
Der Ursprung des Problems ist aber sicherlich nicht die Vernachlässigung der Leseförderung an den Grundschulen. Grundschullehrkräfte haben sich naturgemäß immer um die Leseförderung gekümmert und diese engagiert mit vielfältigen Angeboten gestärkt. So werden Lesepaten und Lesepatinnen gewonnen, Autorenlesungen veranstaltet, wird die Frederikwoche als Lesefest gefeiert, die Schulen mit eigenen Büchereien ausgestattet und auch schon in der Vergangenheit zahlreiche eigene Lesekonzepte entwickelt.
Allerdings haben sich die Rahmenbedingungen in den Grundschulen in den letzten Jahren rasant verändert. Die Heterogenität der Kinder durch die vermehrte Zahl der Flüchtlingskinder aber auch die steigende Migrationsrate an den Grundschulen zeigt sich hier deutlich. Kinder, die ohne Deutschkenntnisse an die Schulen kommen, haben erst einmal eine schlechtere Ausgangsposition als die Kinder, denen die Sprache keine Mühe macht. Hier muss der Fokus liegen. Schon im Kindergarten muss die Sprache gefördert werden. Ein verpflichtendes Kindergartenjahr ist dringend erforderlich. Allerdings fehlt es auch in den Kindertagesstätten an qualifiziertem Personal. Es gibt kaum eine Kindertagesstätte, die nicht Personal sucht und da bleibt gerade oftmals die Zeit für Sprachförderung auf der Strecke. Hier müssen aber Sprachstandserhebungen und eine Frühförderung verbindlich sein. Dazu bedarf es einer deutlichen Erhöhung der Kooperationszeit der Grundschulen mit den Kindertagesstätten und einer klaren Ausbildungsoffensive im Kita Bereich. Ohne qualifiziertes Personal wird das letzte verpflichtende Kindergartenjahr ins Leere laufen.
Aber nicht nur die unzureichenden Sprachkenntnisse fordern die Grundschullehrkräfte heraus, auch die veränderte Kindheit – Stichwort Digitalisierung und mangelnde Möglichkeiten von Förderunterricht aufgrund des Lehrkräftemangels, erschweren enorm die Arbeit in den Grundschulklassen.
Warum ist die heterogenste Schulart, nämlich die Grundschule immer noch die einzige Schulart ohne verbindliche Förderstunden im Fächerkanon? Bislang gibt es nur für die ersten beiden Klassenstufen Förderstunden im Klassenverband durch die Einsparung von Fremdsprachenstunden. Das ist ein Skandal!
Was fehlt? Eine echte Förderung an Grundschulen. Zweimal zwanzig Minuten pro Woche sind nicht genug. Eine echte Förderung in Form von mindestens zwei Schulstunden wäre dringend erforderlich.
Ist BISS-Transfer-BW also ein Problem oder eine Chance? Es ist eine Chance, dennoch muss jede Schule eine verantwortliche Person melden, es gibt Fortbildungen und dies geht nicht zum Nulltarif! Qualifizierung braucht Zeit! Ein Nebenher wie bisher darf es hierzu nicht geben.
Zusammenfassend fordert das VBE Grundschulreferat:
- Echte Förderstunden zur gezielten (Lese)förderung
- zusätzliche personelle Unterstützung im Unterricht und außerhalb des Unterrichts
- ein verpflichtendes letztes Kindergartenjahr für Kinder mit Sprachdefiziten
- Kinder sollten auf einem vergleichbaren Sprachniveau bei der Einschulung sein, damit der Schulanfang gelingen kann. So werden Frustrationen in der Grundschulzeit vermieden.
von Alfred Vater, Silke Siegmund, Johannes Knapp und Ursula Butscher-Zahn