forsa-Umfrage: Inklusion an Schulen aus Sicht der Lehrkräfte

„Es bleibt ein Rätsel, wie Inklusion gelingen soll, wenn an den Schulen weder die baulichen noch personellen Voraussetzungen gegeben sind. Es wird auch nicht dadurch besser, dass die Lehrkräfte für Inklusion bisher weder ausgebildet, noch hochwertig fortgebildet sind“, fasst Gerhard Brand, Landesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) die forsa-Studie „Inklusion an Schulen“ zusammen.

 

Der VBE hat die Ergebnisse, der für Baden-Württemberg repräsentativen Umfrage unter 500 Lehrkräften allgemeinbildender Schulen, heute im Medienzentrum des Stuttgarter Landtags vorgestellt. Zu den Daten liegen dem VBE Vergleichswerte aus drei früheren Studien vor. Die Gegenüberstellung zeigt zunächst, dass Inklusion an den Schulen weiter zunimmt. Gab 2015 noch gut die Hälfte der Lehrkräfte an, dass an ihrer Schule inklusiver Unterricht stattfindet, berichten dies heute zwei Drittel der Befragten.

Inklusion an Schulen nicht zu Lasten der SBBZ

Trotz der Einrichtung eines inklusiven Schulsystems sprechen sich 98 Prozent der Lehrkräfte dafür aus, die Förder- und Sonderschulen zu erhalten. „Dies spricht für die ausgezeichnete Arbeit dieser Schulen und ist eine klare Botschaft an die Politik. Hier sind die Rahmenbedingungen und die Expertise vorhanden, um jedes Kind bestmöglich zu unterstützen“, so der VBE-Landesvorsitzende.

Während der Rückhalt für die Förder- und Sonderschulen ungebrochen hoch ist, schwindet der Zuspruch für inklusives Unterrichten. Hielten 2015 zwei Drittel der Lehrkräfte Inklusion für sinnvoll, sind es 2019 nur noch 56 Prozent. „Die Zahlen zeigen deutlich, dass Vertrauen in die Wirksamkeit inklusiver Beschulung verloren gegangen ist“, kommentiert Brand die Ergebnisse.

Gründe für und gegen Inklusion an Schulen

Offen nach den Vorteilen von Inklusion gefragt, führt jeweils etwa ein Viertel der Lehrkräfte den Abbau von Vorurteilen, soziales Lernen sowie die Förderung sozialer Kompetenzen an. Jeder Fünfte nennt zudem die Förderung von Toleranz sowie bessere Integration von Kindern mit einer Behinderung.Einige Lehrer weisen jedoch darauf hin, dass der Nutzen eines inklusiven Unterrichtes abhängig von der Art und Schwere der Behinderung sei.

Als Gegenargumente geben die Befragten an, dass eine individuelle Förderung beider Gruppen bei gemeinsamer Unterrichtung nicht möglich sei und dass nicht behinderte Kinder durch Inklusion benachteiligt würden. Der mit 27 Prozent am häufigsten genannte Einwand ist aber das fehlende Fachpersonal an Regelschulen. Hierzu passt der zweithäufigste Einwurf, dass die Regelschule den erhöhten Förderbedarf behinderter Kinder nicht leisten könne. Die Lehrkräfte verweisen auf ihre hierfür unzureichende Ausbildung und Schulung.

Lehrkräfte fordern: Inklusion an Schulen nur mit Doppelbesetzung

Fast alle Lehrkräfte (96 Prozent) sprechen sich daher dafür aus, dass es für inklusive Klassen eine Doppelbesetzung aus Lehrkraft und Sonderpädagogin/ Sonderpädagogen geben sollte. Jedoch gibt die Hälfte der befragten Lehrkräfte inklusiver Lerngruppen an, dass sie alleine unterrichten.

Entsprechend bewerten fast zwei Drittel aller Lehrkräfte die personelle Ausstattung der Schulen für Inklusion als mangelhaft oder ungenügend. Brand mahnt das Land die Lehrkräfte nicht im Stich zu lassen: „Die Kolleginnen und Kollegen, die inklusiv unterrichten, benötigen dringend Unterstützung durch die Sonderpädagogik.“

 Ausbildung und Fortbildungen für Inklusion nur mangelhaft

Als ebenso mangelhaft erweist sich die Ausbildung der Lehrkräfte. Bei drei von vier Lehrkräften, die an inklusiven Schulen unterrichten, war Inklusion nicht Teil der Lehrausbildung. Die Hälfte der Lehrkräfte, die inklusive Klassen unterrichten, gibt an, über keine sonderpädagogischen Kenntnisse zu verfügen. „Wie Inklusion in der Praxis funktionieren soll, ohne die Lehrkräfte darauf vorzubereiten, ist ein großes Mysterium“, konstatiert der VBE-Chef.

Drastischer Handlungsbedarf zeigt sich auch beim Fortbildungsangebot. Dieses stufen nur fünf Prozent der Lehrkräfte als gut oder sehr gut ein. Dagegen bewerten es 53 Prozent als ausreichend, mangelhaft oder ungenügend. „Die Zahlen sind katastrophal. Aufgrund der völlig unzureichenden Ausbildung, wären hochwertige Fortbildungen unabdingbar. Hier muss das Land nachbessern. Die Lehrkräfte sind im Vorfeld qualitativ hochwertig und nachhaltig fortzubilden, um auf ihre schwierige Aufgabe vorbereitet zu sein“, so Brand.

Klassengröße und Barrierefreiheit

Weitere Großbaustellen zeigen sich bei der Klassengröße und Barrierefreiheit. Lag die Gesamtschülerzahl 2016 bei rund 16 Kindern je inklusiver Klasse sind es dieses Jahr rund 19 Kinder. Auf jede Klasse kommen dabei im Schnitt vier Kinder mit Behinderung. Der VBE-Landeschef sieht die Entwicklung kritisch: „Jedes Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf stellt eine zusätzliche Herausforderung für die Lehrkräfte da. Nur in kleinen Klassen können sie angemessen gefördert werden.“

Barrierefreiheit ist zudem nur an 18 Prozent der inklusiven Schulen vollständig umgesetzt. Überhaupt nicht barrierefrei sind 41 Prozent dieser Schulen. Brand fordert schnelles Handeln: „Hier stehen die Schulträger klar in der Pflicht. Wenn die Teilhabe bereits an der Barrierefreiheit der Schulen scheitert, brauchen wir nicht weiter über Inklusion zu reden.“

Zusammenfassung
  • An Schulen, die in vier von zehn Fällen nicht barrierefrei sind,
  • unterrichten Lehrkräfte, die mehrheitlich über keine sonderpädagogischen Kenntnisse verfügen,
  • ohne die Möglichkeit, sich qualitativ hochwertig fortbilden zu können,
  • immer größer werdende inklusive Klassen
  • und das oftmals ohne Unterstützung durch Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen.
Forderungen

Der VBE fordert: 

  1. Der Erhalt der Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren ist zwingend notwendig – sie müssen mit den erforderlichen Ressourcen ausgestattet sein.
  2. Die Verantwortung für inklusiv beschulte Kinder muss weiterhin in den Händen der Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen liegen.
  3. Die Lehrkräfte, die in inklusiven Settings arbeiten, sind im Vorfeld qualitativ hochwertig und nachhaltig fortzubilden und damit auf ihre schwierige Aufgabe vorzubereiten.
  4. Die Klassengröße ist bei inklusiver Beschulung zu reduzieren und darf die Maximalanzahl von 20 Schülerinnen und Schüler nicht überschreiten. Die Unterstützung im inklusiven Unterricht muss sich zudem an der Behinderungsart und der Schwere der Behinderung orientieren.
  5. Schulen mit inklusiven Klassen sind barrierefrei zu gestalten.

Hier kommen Sie zu den Ergebnissen der Studie:

Hier erhalten Sie Hintergrundinformationen zur UN-Behindertenrechtskonvention.