Im Einsatz für mehr Kitaqualität: Das Forum Frühkindliche Bildung

Kita, Kindergarten

Vor zwei Jahren gründete das Land Baden-Württemberg das Forum Frühkindliche Bildung mit dem Ziel, Qualität in Kitas zu sichern und weiterzuentwickeln. Das Forum versteht sich dabei als eine Plattform zur Vernetzung der verschiedenen Akteure aus Politik, Wissenschaft, Trägern und Kita-Praxis. Lesen Sie nachfolgend ein Interview, das der stellvertretende VBE-Landesvorsitzende Walter Beyer per Videoschalte mit der Leiterin des Forums, der Bildungsforscherin Prof. Nataliya Soultanian, geführt hat.

 

Beyer: Der VBE verfolgt die Arbeit des Forums mit großem Interesse. Das Forum Frühkindliche Bildung ist eine noch vergleichsweise junge Landeseinrichtung. Können Sie die Arbeitsweise und wichtigsten Arbeitsbereiche des Forums kurz vorstellen?

Prof. Soultanian: Das Forum teilt sich in drei Arbeitsbereiche auf: 1. Forschung und Evaluation, 2. Qualitätsentwicklung und -Sicherung in Kitas und 3. Praxisbegleitung.  Da es sich hierbei um sehr unterschiedliche Arbeitsfelder handelt, ist die Arbeitsweise des Forums interdisziplinär angelegt. Das Forum besteht im Kern aus einem multiprofessionellen Team von 14 Mitarbeitern, die sich auf die drei Arbeitsbereiche verteilen. Dazu kommen weitere 39 Mitarbeiter, die in verschiedenen Teams an den acht Standorten des Modellversuchs Inklusion tätig sind.

Beyer: Können Sie uns den Arbeitsbereich Forschung und Evaluation etwas näher erläutern?

Prof. Soultanian: Im diesem Arbeitsbereich begleiten wir bildungspolitische und pädagogische Maßnahmen, Programme und Projekte, indem wir sie evaluieren, wissenschaftliche Forschungserkenntnisse einfließen lassen und datengestützte Empfehlungen für die pädagogische Praxis aussprechen. Unsere Aufgaben sind etwa die Evaluation der Gewährung von Leitungszeit, die Evaluation des Modellversuchs Inklusion, die Weiterentwicklung des Orientierungsplans und die Stärkung des Transfers zwischen Wissenschaft und Praxis. Aus der Auswertung der Evaluation leiten wie dann Handlungsempfehlungen für die verschiedenen Akteure im Kita-Bereich ab.

Beyer: Könnten Sie uns auch den Arbeitsbereich Qualitätsentwicklung und -Sicherung etwas näher vorstellen? Worum geht es hier genau?

Prof. Soultanian: Im diesem Arbeitsbereich geht es letztlich darum, allen Kindern gute Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, Chancengleichheit und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Insbesondere Träger und Kita-Leitungen tragen eine hohe Eigenverantwortung in Bezug auf Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung. Gelingen kann dies, wenn diese Aufgabe als kontinuierliches und gemeinschaftliches Anliegen verstanden wird. Das Forum unterstützt dieses Anliegen indem wir verschiedene Bildungsangebote, Fort- und Weiterbildungen zu einzelnen pädagogischen Themen, Vortragsreihen und sogenannte Forumsgespräche anbieten. Über unser BaWü Landesnetzwerk Fachberatung bieten wir außerdem Informationen zu den verschiedenen Arbeitsbereichen in der Fachberatung an. Darüber hinaus stellt das Forum auch praxisrelevante Infos und kurze Fachbeiträge rund um das Thema Sprache zur Verfügung. Denn ohne Sprache ist weder Verständigung, noch eine aktive gesellschaftliche Teilhabe möglich.

Beyer: Als dritten Arbeitsbereich des Forums nannten Sie die Praxisbegleitung. Könnten Sie diesen Bereich ebenfalls etwas ausführen?

Prof. Soultanian: Die pädagogische Praxis in den Kitas wird immer anspruchsvoller und stellt die beteiligten Berufsgruppen vor immer größere Herausforderungen. Zu nennen sind hier etwa die pädagogische Prozessqualität, die alltagsintegrierte Sprachbildung, die Inklusion oder auch die Medienkompetenz. In diesen Bereichen benötigen Kitas unterschiedliche Unterstützungssysteme. Das Forum unterstützt Kitas team- und praxisbezogen und leistet eine nachhaltige Begleitung von Arbeitsprozessen.

Ein Schwerpunkt des Forums liegt dabei in der fachlich-inhaltlichen Steuerung und Begleitung des Modellversuchs Inklusion. Unsere Beraterteams an den für den Modellversuch ausgewählten acht Standorten bestehen aus einem Qualitätsbegleiter und vier Mitarbeitern des mobilen Fachdienstes. Trägerübergreifend kann sich jede Einrichtung eines Modellstandorts an den Qualitätsbegleiter wenden. Gemeinsam mit dem Träger der Einrichtung wird eine individuelle Vereinbarung getroffen, in der die zu erreichenden Ziele der Einrichtung formuliert werden. Vor Ort wird die Kita auf ihrem Weg zur inklusiven Einrichtung durch eine Mitarbeiterin des mobilen Fachdienstes für die vereinbarte Prozessdauer in regelmäßigen Abständen teambezogen begleitet. Entscheidend ist, an den bestehenden Ressourcen der Einrichtung anzuknüpfen und die Kompetenz der Fachkräfte im Umgang mit inklusiven Kindern zu stärken.

Beyer: Wie lange läuft der Modellversuch Inklusion noch? Wird er flächendeckend ausgebaut?

Prof. Soultanian: Der Modellversuch ist so angelegt, dass unsere Teams die Leitungen und pädagogischen Fachkräfte vor Ort unterstützen. Da wo Hilfe benötigt wird, da wollen wir ausbauen. Wir arbeiten mit einer Auswahl an Kitas, wir haben 77 laufende Prozesse, die vor Ort unterstützt werden. Das Grundproblem sind die mangelnden Ressourcen. Das Forum kann das Ressourcenproblem nicht beheben, der Fachkräftedarf ist enorm und wird weiter bestehen. Ziel ist es aber, das Modellprojekt flächendeckend zu implementieren. Regulär läuft der Modellversuch bis 2024 aber durch Corona konnten die Prozesse nicht wie gewünscht durchgeführt werden.  Wahrscheinlich fangen wir deshalb erst 2025 mit der flächendeckenden Implementierung an.

Beyer: Sie erwähnten bereits, dass auch die Weiterentwicklung des Orientierungsplans zu Ihren Aufgaben zählt. Wie läuft dieser Prozess ab und welche Themenschwerpunkte setzen Sie dabei?

Prof. Soultanian: Der Orientierungsplan ist der grundlegende Bildungskompass im frühkindlichen Bereich. Wir gehen bei der Weiterentwicklung grundsätzlich sehr dialogorientiert vor. Es ist ein Prozess unter starker Begleitung: Pädagogische Fachkräfte, Kita-Leitungen, Schulkindergärten, Grundschulen, Familien, alle am Kita-Leben beteiligten Gruppen können sich einbringen und Wünsche mitteilen. Wir haben insgesamt 30 Fokusgruppen gebildet, um unterschiedliche Ansichten zu den Themen zu erhalten. Gemäß der Evaluation gibt es zwei übergeordnete Themen: Die Stärkung des Praxisbezugs und die Verbindlichkeit.

Beyer: Der VBE spricht sich seit Jahren für einen verbindlichen Orientierungsplan aus und sieht darin ein entscheidendes Kriterium, um die Qualität in den Kitas zu steigern. Uns würde daher brennend interessieren: Wird der Orientierungsplan künftig verbindlich sein?

Prof. Soultanian: Die Einführung eines verbindlichen Orientierungsplans ist eine fundamentale Frage. Die Diskussion darüber läuft, Stand heute kann ich Ihnen dazu keine klare Antwort geben. Es hängt davon ab, ob die Rahmenbedingungen geschaffen werden können, um ihn verbindlich einzuführen. Wir vom Forum analysieren nun die Daten aus der Evaluation des Orientierungsplans – auch mit Blick auf die Verbindlichkeit.

Beyer: Die Rahmenbedingungen für die Kitas waren zuletzt durch die Pandemie sehr belastend. Viele Einrichtungen hatten zum Beispiel trotz Notbetreuung ein volles Haus, eine Kohortenbildung war teilweise nicht möglich, es gab viele Ausfälle aufgrund von Infektionen, was die ohnehin angespannte Personalsituation weiter zugespitzt hat. Wie würden Sie die Situation an den Kitas rückblickend beurteilen? Gibt es Entwicklungsverzögerungen, die auf die Pandemie zurückgehen?

Prof. Soultanian: Wir haben gesehen, dass an den Kitas die Strukturen gefehlt haben, um auf Krisen vorbereitet zu sein. Dies ist dann natürlich für die Praxis sehr belastend und herausfordernd. Wir haben aber auch immens viel gelernt und können viel mitnehmen. Entwicklungsverzögerungen hat es auf jeden Fall gegeben, der sprachlich-kognitive und der sozial-emotionale Bereich haben sehr gelitten. Der individuelle Blick auf das Kind war durch die Unterbesetzung in den Kitas kaum möglich.

Beyer: Können Sie uns abschließend noch ganz kurz einen Ausblick geben, welche strukturellen Herausforderungen Sie für die Kitas in Baden-Württemberg in den nächsten Jahren auch abseits der aktuellen Pandemielage sehen?

Prof. Soultanian: Es gibt in Baden-Württemberg große Unterschiede zwischen kleinen und großen Kitas, zwischen Stadt und Land, das Qualitätsgefälle ist mitunter groß. Dies sollte im 21. Jahrhundert in einer modernen Gesellschaft eigentlich nicht mehr der Fall sein. Das große Problem ist und bleibt der Fachkräftemangel. Diesen muss man langfristig und mit klugen Konzepten angehen. Das Problem wird uns sicher noch die nächsten zehn Jahre begleiten.

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