Lederle spricht Klartext: Schreibt man Bürokratie eigentlich S-C-H-U-L-E?

Klartext

Es ist schon seltsam. Wenn man schon lange miteinander arbeitet, dann ist das fast so, als wäre man miteinander verheiratet. Man schaut sich nur an und weiß was der andere jetzt sagen will. „Du, der Antrag auf Beratung und Unterstützung…“, setzt meine Konrektorin an. „Ja, den musst du digital ausfüllen und elektronisch weiterleiten.“, erwiderte ich. Ich will jetzt nicht anhören wie mein Opa und über früher referieren, aber früher hat man am zuständigen SBBZ angerufen, den Fall geschildert und dann ist mal jemand vorbeigekommen.

Stattdessen stellen wir jetzt diesen Antrag, der einer sonderpädagogischen Abklärung dann vorangestellt ist. Dass es dafür dann nochmal einen Extra-Antrag braucht, ist ja ohnehin klar. Als wäre nicht schon im ersten eigentlich alles eingetragen und gesagt. Besonders schlank ist das Verfahren ja nicht, aber wenn es sein muss, dann muss es halt sein. Irgendwie auch verständlich, dass man schriftlich alle Angaben usw. nebst pädagogischen Berichten und Einwilligung der Eltern zusammenführt. Bei der Sachbearbeitung macht das bestimmt Sinn. 

Das mit der Bürokratie ist halt so eine Sache.

Das mit der Bürokratie ist halt so eine Sache. Ehrlich gesagt ist das so überhaupt nicht so mein Ding. Siehe Grundsteuererklärung. Da habe ich mich konstant gefragt, warum ich auf einer Website genau die Daten eingeben muss, die mir das Finanzamt vorher schon schriftlich mitgeteilt hat und beim Erwerb des Grundstücks und der Berechnung der Grunderwerbssteuer also eh schon hat. Macht das Sinn? Ich hatte mich jedenfalls damals ja auch mal bewusst gegen eine Karriere in der öffentlichen Verwaltung entschieden, die mein Vater eigentlich für mich vorgesehen hatte. So lief das halt damals noch mit der Berufssorientierung. Als ich dann mit Lehrer um die Ecke bog, war er nur teilweise durch den Beamtenstatus zu beruhigen. Also jetzt lassen Sie uns doch mal gemeinsam überlegen, was wir da so alles das ganze Jahr über aus der Abteilung Bürokratie in der Schule so treiben, das ganze Jahr über. Die Liste lässt sich bestimmt noch fortsetzen, aber konzentrieren wir uns mal nur auf einige Sachen, die unmittelbar mit Unterrichten nichts zu tun haben:

Da gibt es für uns Schulleitungen zahlreiche statistische Abfragen durch das Kultusministerium zu beantworten (beispielsweise die Zahlen erkrankter Lehrkräfte, Zahlen bezüglich der Vorbereitungsklassen, Prüfungsleistungen, VERA-Ergebnisse, Lernstand-Ergebnisse).

Wer auch immer die Dinger erfunden hat, sollte mal im Duden den Begriff „Benutzerfreundlichkeit“ oder „intuitive Anwendung“ nachschauen und dann nochmal das Denken anfangen.

Die unzureichende Benutzerfreundlichkeit der Software ASD-BW (Amtliche Schuldaten Baden-Württemberg) und ASV-BW (Amtliche Schulverwaltung Baden-Württemberg) kostet Zeit ohne Ende. Wer auch immer die Dinger erfunden hat, sollte mal im Duden den Begriff „Benutzerfreundlichkeit“ oder „intuitive Anwendung“ nachschauen und dann nochmal das Denken anfangen. Es gibt etliche Hürden beim Datenschutz, wie das Einholen und Archivieren der Datenschutzeinwilligung bei Schülerinnen und Schülern, Eltern, sowie Kolleginnen und Kollegen. Dazu kommt dann noch das Anlegen von Verfahrensverzeichnissen zum Datenschutz und das Erteilen von Auskünften über Daten. Früher waren Pest, Cholera oder Tuberkulose die Geißel der Menschheit, heute der magische Dreiklang aus Datenschutz, Brandschutz und Versammlungsstättenverordnung.

Apropos Versammlungsstättenverordnung. Haben Sie schon mal versucht alle Auflagen diesbezüglich zu erfüllen? Dann viel Spaß. Da mutiert eine schulische Abschlussfeier schon mal zum Hochrisikospiel zwischen zwei „verfeindeten“ Bundesligavereinen. Die Erstellung von Schul- und Radwegeplänen sowie Flucht- und Rettungsplänen mag ja einigen Leuten Spaß machen, aber ich bin da raus. Die ganzen Abrechnungen, die es da so gibt, sei es beim Jugendbegleiterprogramm, bei Kooperationen, Verträgen oder dem Programm „Lernen mit Rückenwind“ (bei Letzterem auch das Vertragswesen).

Ach ja Bürokratie das führt uns zum Lieblingsthema: Ausschreibungen

Mein Lieblingsthema Ausschreibungen. Diese gilt es vorzubereiten, ganz egal ob es sich um Beschaffungen aller Art oder um schulscharfe Stellen handelt. Oder wie wär’s mit Berichten? Da gibt’s die allseits sehr beliebte Dienstliche Beurteilung oder Dienstberichte, sowie pädagogische Berichte für das Jugendamt und dazu kommen dann Stellungnahmen für Leistungsbezieher, damit diese auch entsprechende Unterstützung erhalten.

Nicht zu vergessen, die zahlreichen Gespräche mit dem Schulamt, dem Schulträger, Fördervereinen etc., die sich stellenweise inhaltlich doppeln und selbstverständlich dokumentiert werden müssen. Oder auch sehr beliebt aus dem Bereich Gesundheit/Arbeitsschutz: Gefährdungsbeurteilungen für Schwangere, Fragebögen für Ärzte beantworten, die die Medikation/Behandlung von Schülerinnen und Schülern mit ADHS überprüfen, Infektionsschutzbelehrung der Beschäftigten. Dazu: Eine erneute Masernabfrage bei der Anmeldung an der Grundschule, obwohl diese schon zuvor an den Kindertagesstätten erhoben wurde. 

Dienstgeräte sind zwar supi, die Verwaltung und das Vertragswesen für Dienstgeräte sowie die Überprüfung des Einsatzes von Privatgeräten von Lehrkräften ist ein Thema für sich. Nehmen wir da mal noch den allseits beliebten Medienentwicklungsplan mit seinen vielen Abfragebereichen dazu. Nicht vergessen sollten wir auch den Medienthemenplan. Beide erfordern jedenfalls viel Aufwand. Das Thema Betriebssicherheit oder Arbeitsstättensicherheit ist auch ein Klassiker. Dort warten so nette Aufgaben, wie das Führen von Gefahrstoffverzeichnissen, die Überwachung der jährlichen Tafel-, Elektrogeräte-, Turngeräteprüfung, sowie das Erstellen, Überprüfen und Aktualisieren von Betriebsanweisungen für Versuche und Maschinen auf uns. Darüber hinaus die jährliche Belehrung der Lehrkräfte zum Arbeitsschutz (z.B. Einweisung in die Handhabung von Leitern und Tritten etc.), sowie die Einweisung in Brandschutz und anderer Sicherheitsregularien. Dazu: Begehungen mit Kostenträgern, Unfallkasse, Arbeitsschutz, Feuerwehr etc., die vor- und nachbereitet werden müssen.

Das Erstellen und die Pflege des Schulportfolios ist auch immer noch ein Thema. Und nicht vergessen sollten wir den Bereich schulinterne Fortbildungen für Lehrkräfte, pädagogisches Assistenzpersonal sowie für Schülerinnen und Schüler. Dazu gehören auch die zahlreichen Absprachen, Anträge etc. im Vorfeld und im Nachgang.  

Wer jetzt vor diesem Hintergrund noch ernsthaft die Qualitätsfrage in Bezug auf Unterricht und Schulentwicklung stellt, dem halte ich mal ein kräftiges „Hä?“ entgegen. Aber eines hat er oder sie bestimmt, der diese Frage stellt. Keinen Bezug zur Realität oder einen kranken Sinn für Humor, plus keine Vorstellung, was denn eigentlich so alles zum Kerngeschäft und der „All-inclusive Arbeitszeit“ der Lehrkräfte gehören sollte.

Dirk Lederle, Stv. Landesvorsitzender, Schulleiter Johanniterschule Heitersheim