Meine Frau und ich sitzen gemeinsam am Frühstückstisch, was ohnehin im Wochenverlauf eher die Ausnahme als die Regel ist und das so mitten unter der Woche. Dem Feiertag sei Dank! Normalerweise frühstücke entweder ich und sie ist schon im Bad oder umgekehrt. Genauso klatschen wir uns dann beim Richten der Kinder ab. Entweder sie beim Anziehen und ich beim Zähneputzen oder umgekehrt. „Warum stehst du denn schon auf?“, fährt mich meine Frau an. „Alle Jahre wieder“, rutscht es mir heraus. Sie kontert mit einem lässigen: „Hä?“
Nein, es ist nicht schon wieder Weihnachten, sondern Prüfungszeit. Bei mir ist das sowas wie ein festes Ritual im Jahresablauf, das mich normalerweise mit doppelter Wucht trifft. Also sowas wie der Doppelwumms des Bundeskanzlers. „Stimmt, du warst ja erst auf dem Amt zu Botengängen“, lacht sie mich an. Danke auch dafür! Ja, wohl war. Was man so als Schulleiter nicht so alles noch nebenher macht. Zum Prüfungsritual gehört es eben auch die Arbeiten abzuholen. Man empfing mich dort mit den Worten: „Der Wohnturm dort hinten ist Ihrer.“ Gemeint war der Stapel mit fertig kopierten, verpackten und versiegelten Prüfungsunterlagen. Bei uns sind das normalerweise so um die 120 Prüfungsarbeiten a mindesten 12 Seiten in vier Prüfungsfächern bei der Realschulschulabschlussprüfung. Dazu kommen dann so 50 a drei Fächer für die Hauptschulabschlussprüfung. Da kommt schnell ein ansehnlicher Stapel zusammen.
Zum Glück ist man bei uns in Freiburg ziemlich gut eingerichtet. Immerhin hat man dort als Abholender die Möglichkeit zwischen einem Sackkarren oder einem Rollwagen zu wählen. Das erspart so machen Gang aus dem Keller auf den Parkplatz ans Auto und zurück. Dies Abholtage sind normalerweise die Tage, an dem ich das „große Auto“ auch von meiner Frau autorisiert benutzen darf. In unseren Zweitwagen bekomme ich das ganze Zeug nie unter. Und da fragt mich doch neulich jemand, wie ich denn zu einer elektronischen Bereitstellung der Unterlagen stehe. Von dem Aspekt her betrachtet nicht kritisch. Es stellt sich dann nur die Frage, wer die Dinger dann kopiert und wann. Die Undank der nicht am Prüfungsgeschäft beteiligten Lehrkräfte dürfte einem sicher sein, wenn am Prüfungstag der Kopierer heiß läuft. Mit den Kopierern in deutschen Lehrerzimmern verhält es sich ja ohnehin wie mit den Kaffeevollautomaten. Sobald man an die Dinger herantritt fehlt entweder Wasser, Kaffee oder die Tropfschale nebst Tresterauffangbehälter muss zuerst einmal geleert werden. Nur bei den Kopierern ist entweder der Toner oder das Papier leer (gerne auch abwechselnd). Auch sehr beliebt, das Papierstaumonster hat mal wieder zugeschlagen. Für mich deshalb der Königsweg: Liefert uns doch die Dinger einfach. Bei anderen Schularten ist das ja auch möglich.
Der Doppelwumms stellt sich bei mir dann ein, wenn ich neben der ganzen Öffnerei der Unterlagen zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen an den vier Prüfungstagen zu nachtschlafender Zeit, dann auch noch mit einer Erst- oder Zweitkorrektur das Vergnügen habe und das ist jedes Jahr der Fall. Also klar, es geht am Feiertag an den Schreibtisch. Im Weglaufen vom Frühstückstisch wirft mir meine Frau noch ein lässiges „Kopf hoch! In zwei Stunden bist du durch“ hinterher. Eskalation im Hause Lederle. Der augenzwinkernde Konter folgt auf dem Fuße: „Ist halt nicht wie bei deinen 2ern und den Deutscharbeiten. Nach einer halben Stunde fertig und so…“
Jetzt mal ehrlich und die Hände hoch: Wer findet denn die Korrigiererei klasse? Also ich zumindest kann für mich sagen, dass ich deswegen bestimmt nicht Lehrer geworden bin. Erfahrungsgemäß bedeutet das, dass ich so zwischen 16 und 18 Zeitstunden dran sitze. Das sind mindestens zwei volle Arbeitstage, die ich nebenher so irgendwie unterbringen muss. Denn anders als bei den Kolleginnen und Kollegen am Gymnasium gibt es bei uns ja für die Erstkorrektur keinen Korrekturtag, sondern wenn überhaupt, dann nur für die Zweitkorrektur, falls der Personalmangel es zulässt. Es wäre also allerhöchste Zeit sich hier mal endlich in Stuttgart zu bewegen und die Regelungen positiv anzugleichen. Denn Lehrkräfte können entweder unterrichten oder korrigieren. Beides gleichzeitig zu verlangen, grenzt schon an Ausbeuterei und trägt sicher nicht dazu bei, unseren Beruf irgendwie attraktiver aussehen zu lassen. Von wegen Vereinbarkeit von Familie und Beruf und so. Aber wie sagte mein ehemaliger Chef: „Prüfungszeit ist Spitzenleistungszeit.“ Wohl wahr.
Und so sitze ich bei Traumwetter am Schreibtisch und korrigiere vor mich hin. Zwischendurch melden sich dann noch meine Parallelkolleginnen in unserer Threema-Gruppe zum Austausch „Wie würdet ihr das korrigieren?“ als einzige Abwechslung. Damit meine Familie auch was von mir hat nutze ich den Brückentag, das Wochenende halt auch noch dazu. Nur damit ich die Arbeiten dann spätestens am Dienstag auch fertig habe, denn an der Partnerschule sitze ja die Kolleginnen und Kollegen zur Zweitkorrektur schon Gewehr bei Fuß, damit die Dinger auch noch vor Pfingsten fertig werden. Zum Glück bringt meine Frau hier viel Verständnis auf und beschäftigt die Kids auf dem Spielplatz. Ruhe ist eh ein sehr seltenes Gut bei uns. Bei einer Kollegin nimmt der Mann (mit „anständigem Beruf“) dann auch schon mal zwei Tage Urlaub, damit seine Frau die nötige Zeit bekommt, um ihre Deutscharbeiten in Ruhe korrigieren zu können. Leicht macht das Land es uns wirklich nicht bei unserer „Spitzenleistung“.
Dirk Lederle, Stv. Landesvorsitzender