Lederle spricht Klartext: Und täglich grüßt das Murmeltier!

Klartext

„Schreib doch mal was Positives!“, meint meine Frau. Das ganze Corona-Hickhack sei eh schon so grau bis dunkel und dann noch die Winterzeit mit kurzen Tagen, Nebel und der Kälte. Ich seufze tief und setze mich an den Schreibtisch. Zum Glück ist es wenigstens bei uns daheim einigermaßen warm im Büro. Dank der Gaspreisgarantie unserer Stadtwerke sehe ich nicht sofort den Gaszähler vor meinem geistigen Auge. Also nicht so wie in der Schule, wo es dank des Lüftens immer ein wenig fröstelig ist. Kühlschrankmäßig eben.

Frischluft ist zwar immer gut – das weiß jeder, der bei 7ern oder 8ern schon einmal nach Sport unterrichtet hat – aber gleich so viel? Soll ja frisch und jung halten. „Wie, positiv? Ich schreibe immer nur Positives, außerdem bin ich Badener. Wir sind immer positiv und freundlich, nicht so, wie ihr Schwaben – nicht gemeckert ist schon genug gelobt …“, antworte ich.

Sie schaut mich mit einem tiefen, langen Blick an. Diesen Blick kenne ich. Jetzt kommt gleich die Keule. „Wie machst du das eigentlich bei unangenehmen Gesprächen?“, will sie anschließend wissen. Wie, keine Retourkutsche? Stattdessen eine ihrer bestechend einfachen Fragen, die so einfach nicht zu beantworten sind. Wo fange ich denn da an? Ich erinnere mich noch ziemlich gut. Es war in irgendeinem Seminar an der Comburg, als es um den Umgang mit schwierigen Menschen in schwierigen Situationen ging. Die Trainerin versuchte, Verständnis für die Situation des Gegenübers zu wecken, und warb für das Verständnis von deren Position. Sie wählte einen Vergleich mit einer Karotte und einem Esel. Ehrlich gesagt hilft mir dieses Bild, meinen Humor in bestimmten Gesprächen nicht zu verlieren. Also, stimmt. Verständnis ist immer wichtig. Zugegebenermaßen fällt mir das leichter, wenn wir uns im Bereich des Rationalen oder der sachlichen Ebene bewegen.

„Verständnis ist immer wichtig“

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber die Pandemiesituation hat nicht nur bei anderen Menschen, sondern auch bei mir ganz persönlich Spuren hinterlassen. Seit nun deutlich mehr als 18 Monaten dreht sich mein tägliches Geschäft um dieses Thema. Anfangs war da nicht nur bei mir, sondern bei allen in meinem Umfeld ein deutliches „Wir schaffen das! Wir stel- len uns dieser Herausforderung“ zu spüren. Wir haben angepackt, versucht, das Beste aus der Situation zu machen, und viel, ja manchmal auch viel zu viel dafür gearbeitet. Alle haben mitgezogen. Ohne Ausnahme. Auch durch unser Kollegium ging ein Ruck. Da hat sich niemand weggeduckt, sondern alle haben im Rahmen ihrer Möglichkeiten angepackt. Widerspruch gab es kaum bis keinen, auch weil wir alle „Neuland“ betreten hatten. Auch die meisten Eltern bildeten da keine Ausnahme und trugen alles mehr oder minder klaglos mit, waren dankbar für gute Fernlernangebote oder den wieder beginnen- den Präsenzunterricht. Masken? Na ja, nicht der Wunschzustand, aber irgendwie haben wir uns alle daran gewöhnt. Froh waren wir immer dann, wenn die Dinger wieder verschwanden oder die Tragepflicht situativ angepasst wurde.

Leider blieb dies nicht so, sondern mit jeder Welle – inzwischen sind wir ja in Welle vier – wurde genau dies größer. Klar gibt es immer Menschen, die grundsätzlich anderer Meinung sind. Machen Sie doch mal eine Umfrage unter Ihren Nachbarn und fragen Sie nach der besten Hausfarbe. Ich sage Ihnen, das wird ein bunter Regenbogen mit Tendenz zu Weiß. Auch wenn dies manchmal nervt, aber genau diese Meinungsvielfalt gehört zum Wesen der Demokratie. Denn Demokratie heißt auch, die Meinung des anderen zur Kenntnis zu nehmen, sie auch zuzulassen, zu akzeptieren und auszuhalten, auch wenn es schwerfällt.

Und da wären wir nun beim Murmeltier, das da wieder einmal um die Ecke biegt. Denn spätestens seit Welle zwei dreht sich mein tägliches Geschäft nicht nur um die Bewältigung und Organisation der Lage, sondern immer mehr auch um das immer Gleiche. Einige wenige Eltern, die sich nicht nur haarscharf an der Grenze des Ertragbaren bewegen, sondern viel zu oft auch weit jenseits davon. Leute, die nicht nur ihre Meinung äußern und nicht nur mich, sondern Schulleitungen landauf, landab mit Fake-Maskenattesten, fragwürdigen Anwaltsschreiben, Beschwerden, Schmäh-Mails, persönlichen Angriffen gegen die Repräsentanten des Staates (manchmal werden diese auch körperlich) oder seitenlangen Pseudo-Fragenmails beschäftigen. Muss man das ertragen? Sicher, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Für mich ganz persönlich ist das Maß voll. Ich will einfach nicht mehr jeden Tag genau damit beginnen und mindestens eine Stunde meiner Arbeitszeit mit den Egoismen einiger weniger verbringen. Der einzige Trost ist da manchmal neben der Karotte auch die Tatsache, dass es gefühlt irgendwie allen Schulleitungen so geht. Auf die vielen netten Gespräche in diesem Zusammenhang mit meinen Kolleginnen und Kollegen möchte ich wirklich nicht verzichten. Auch wenn diese manchmal nur ein gegenseitiges „Auskotzen“ waren oder manchmal auch ein Erfahrungsaustausch mit wechselseitig wichtigen Tipps.

Stimmt. Auch mal die Perspektive des anderen einnehmen zu können hilft zu verstehen. Aber Verstehen ist keine Einbahnstraße. Dies gilt auch für das Gegenüber. Und ich muss nicht immer wirklich alles verstehen. Und genau diesen Rat gebe ich meiner Frau dann auch.

Dirk Lederle

Schulleiter Johanniterschule Heitersheim, stellvertretender VBE- Landesvorsitzender