Lederle spricht Klartext: Von Giftzähnen und so

Klartext
Ging es Ihnen eigentlich auch so? Als ich das Maßnahmenpaket gelesen habe, das man in Stuggi da so gegen den Lehrkräftemangel zusammengezimmert hat, ging es mir wie neulich bei einem Spiel des Sportclub Freiburg. Da rennen und machen die wie die Verrückten, schießen auch noch ein Tor und am Ende stolpert der Gegner in der Nachspielzeit noch so ein Ding rein und Bäm! Unentschieden. Die Enttäuschung im Blick meines Mittleren war nicht mal von den Spielern auf dem Platz zu toppen. Der Kleine fing sogar zu heulen an.

Jedenfalls wurde nicht nur bei uns im Kollegium heftig der Kopf geschüttelt und manchmal auch kräftig verbal ausgeteilt, sondern auch bei uns Zuhause. „Hast du das mit dem Paket schon mitbekommen?“, empfängt meine Frau mich an der Türe. Zalando? Ach so, das Maßnahmenpaket des Ministeriums, meint sie. Kein „Hallo Schatz, wie schön dich zu sehen….“ Und das nachdem ich just in dieser Woche an gleich drei Tagen in Stuttgart zu Gesprächen war. „Habt ihr das nicht thematisiert? Haben die das mit euch nicht besprochen?  Was sagt ihr dazu? Was meint die Ministerin mit Giftzähnen?“, ging es dann weiter. „Doch. Naja.“, erwiderte ich und holte Luft.

Sicher, es muss etwas geschehen. Der Personalmangel wirkt sich sogar bei uns in Freiburg schon deutlich aus. Früher habe ich immer gesagt, dass es nur zwei Arten von Lehrerinnen und Lehrern in BaWü gibt: Die, die in Freiburg sind und die, die dort hinwollen. Inzwischen habe ich erfahren, dass dies in Heidelberg, Karlsruhe, Tübingen oder Konstanz ähnlich ist. Dennoch gibt es bei uns in Südbaden ein Paradoxon. Rund um Freiburg, naja, sagen wir mal etwas weiter weg auf der Baar oder am wunderschönen Hochrhein, gibt es leider viel zu wenige Lehrkräfte und ziemlich viele Neueinstellungen bei uns im RP gehen genau dorthin, in der Hoffnung die Neulehrkräfte dafür begeistern zu können.

Der Erfolg ist zwar vorhanden, aber eher, sagen wir mal, überschaubar. Dennoch wollen viele Leute wieder genau von dort weg und nach Freiburg zurück. Die lässt man aber nicht ziehen, weil man ja keinen Ersatz bekommt. Das Ende vom Lied ist dann also: keine Lehrkräfte sowohl hier, als auch dort. Nicht mal eine Krankheitsvertretung bekommt man mehr, obwohl sich alle Beteiligten redlich mühen.

Jetzt das gesamte Paket schlecht zu reden, wäre auch nicht fair. Einige Maßnahmen sind schon echt gut. Das mit den Handschlagkräften zum Beispiel. Ich habe es noch nie so ganz verstanden, warum ich das an meiner Grundschule kann und in meiner Sekundarstufe nicht. Supi, dass dies endlich möglich ist. Auch die Schaffung von Qualifizierungsangeboten war mehr als überfällig. Dass jetzt endlich die „Mentoren“ dieser Kolleginnen und Kollegen – neuerdings heißen sie jetzt POL, weil’s freundlicher klingt als Nichterfüller – mal eine Anrechnung für ihr Geschäft bekommen sollen, ist sowieso längst überfällig. Die zusätzliche Entlastung für Schulleitungen ebenso, wenngleich viel zu gering. Und für unseren Beruf mal gescheit zu werben, ist sicher nicht verkehrt. Ich bin mal gespannt, ob die Testimonials für diese Kampagne dann so schick aussehen, wie bei der Bundeswehrkampagne. Vielleicht heißt unser Slogan dann aber bitte „Wir. Unterrichten.“ und nicht „Wir. Dienen.“

Das Durchbezahlen der KV-Kräfte ist mehr als überfällig und wenn man dies endlich hinbekommt, bleiben bestimmt auch mehr von ihnen dem Job treu. Die Direkteinstellungsvariante klingt interessant, genau wie das vorgezogene Einstellungsverfahren. Das verhindert bestimmt das Abwandern in andere Bundesländer oder ins Ausland. Die Erhöhung der Studienkapazitäten fordern wir jedenfalls schon mantramäßig seit vielen Jahren, nur der Numerus Clausus muss jetzt noch weg. Was noch fehlt: Die Studis mal gut und effektiv durchs Studium und Ref zu begleiten, um die Abbrecherquote zu verringern. Unterm Strich aber muss man sagen, dass die Ministerin nichts täte, ist glatt gelogen und dann auch noch in Teilen das Richtige, das ist soweit schon klasse.

Kommen wir dann aber mal zu uns Bestandslehrkräften. Also die, die von den Giftzähnen der Ministerin verschont geblieben sind. Naja, das Ausmaß des persönlichen Elends ist ja ein zutiefst subjektiv empfundenes. Aber da musste ich schon schlucken oder besser gesagt heftig den Kopf schütteln. Für mich jedenfalls klang dies schon ziemlich nach einer Drohung. Motto: Seid mal froh, ich hätte euch noch ganz anders können. Also so ähnlich wie bei einer kräftigen Ohrfeige. Dort könnte man ja auch sagen: „Sei mal froh, dass du nicht die Faust ins Gesicht bekommen hast“. Da fällt mir doch nur der Grönemeyer-Klassiker „Was soll das?“ ein.

Ausgerechnet den Schwächsten unter uns erhöht man zuerst mal das Deputat. Klar um „nur“ eine Stunde, aber was das gerade für die Berufsanfänger bedeutet, kann ich zumindest schon noch nachvollziehen, obwohl mein Referendariat schon ein bisschen her ist. Eine Deputatsstunde sind halt in Wahrheit mindestens drei Arbeitsstunden mehr in der Vor- und Nachbereitung. Bei einem Effekt für die Schulen, der in Anbetracht der schieren Anzahl an Refis eher in den Bereich der Homöopathie verorten werden kann. D30. An meiner Schule macht das ein Plus von satten 2 Promille beim Lehrer-Ist. Was wir damit alles machen können…

Nicht-Giftzahn Nummer zwei dürfte ebenso wirksam sein. Die Erhöhung des Mindestumfangs bei Teilzeitkräften. Also ich jedenfalls kenne keine Lehrkraft, die einfach so in Teilzeit arbeitet. Wegen Lifestyle und so. Ich kenne aber ganz viele, die mir sagen, dass sie schlicht nicht mehr arbeiten können, weil sie die gestiegene Belastung in unserem Beruf sonst einfach nicht packen würden. Gerade bei denjenigen, die schon länger im Dienst sind. Setzt man jetzt genau diesen Menschen den Beschäftigungsumfang hoch, ist klar was daraus folgen wird. Mehr Erkrankungen und/oder mehr Kündigungen.

Dass genau letzteres kein Phänomen mit Seltenheitswert ist, gerade bei jüngeren Kolleginnen und Kollegen, die seit der Umstelleng auf Bachelor/Master-Studiengänge auch mal gerne abseits des Lehrerberufs schauen und in Zeiten des Fachkräftemangels auch überall fündig werden, ist mir jedenfalls klar. Entlassungen auf Antrag aus dem Beamtenverhältnis haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen und die Frage danach in meinen Beratungsgesprächen hat ungeahnte Höchstwerte erreicht. Selbst Kolleginnen und Kollegen in Vollzeit haben sich genau über diese Maßnahme aufgeregt. Was man damit also jetzt schon erreicht hat, ist eine miese Stimmung zu erzeugen. Man vergiftet also genau die Stimmung, die dazu geführt hat, dass 2.973 Lehrkräfte ihr Teilzeit freiwillig erhöht haben.

Für ein dickes Stimmungsplus dürfte auch die dienstliche Abordnung oder gar Versetzung in eine Nachbarregion nicht sorgen. Kinderlandverschickung 2.0. Wenn das Schule macht (nettes Wortspiel), dann gute Nacht. Immerhin sind bereits jetzt schon hiervon 2.405 Kolleginnen und Kollegen betroffen. Da hilft dann auch der Ausbau der Angebote aus dem Gesundheitsschutz nicht mehr.  Yoga in Betriebssportgruppen mag zwar viel helfen, aber ob es dann wirklich der Gamechanger zur Berufszufriedenheit darstellt, wenn man zwangsweise das Deputat heraufgesetzt bekommt oder mal eben 100km zu einer anderen Schule fahren darf, kann man getrost bezweifeln.

Dirk Lederle, stellvertretender Landesvorsitzender VBE Baden-Württemberg