Lederle spricht Klartext: Von guten Ideen und dem Nulltarif

Klartext

Morgens, halb zehn in Stuttgart… So oder so ähnlich hieß es doch immer in der Schokoriegelwerbung. Sieht man heute nur noch sehr selten, so eine Kult-Werbung. Fast so selten wie gleich zwei Ministerinnen auf einer Veranstaltung. Das Thema muss also sehr wichtig sein, sonst würden sich nicht gleich zwei so vielbeschäftigte Damen einen Vormittag lang Zeit nehmen. Recht hatten beide auf alle Fälle: Der Fachkräftemangel beschäftigt uns alle und wir alle können es uns nicht leisten, dass eine große Zahl von Jugendlichen sich immer schwerer tut, das Richtige für sich zu finden.

Neues Programm zur Berufsorientierung

Sie waren sich auch dahingehend sehr einig, dass leider nicht alle Eltern den so wichtigen Prozess der Berufsorientierung adäquat unterstützen und dieses Thema im Bereich der Schulen deshalb intensiviert werden muss. Nicht mal ein halbes Jahr später gab es zu dieser Thematik eine Nachfolgeveranstaltung, auf der auch schon erste Ergebnisse und Ideen vorgestellt wurden. Da sage mal einer, es würde sich nichts tun in Stuttgart. Sogar das zugehörige Programm glänzt anders als andere dienstlich gelieferten Programme geradezu vor Anwenderfreundlichkeit. Unfassbar für jeden, der schon mal mit ASV oder ASD arbeiten musste.

Berufsorientierung als Leitperspektive

Nun ist es ja nicht so, dass Berufsorientierung ein Feld wäre, in dem wir Schulen nicht bereits unterwegs wären. Ganz im Gegenteil, mit dem Bildungsplan 2016 wurde es ja sogar eine Leitperspektive und ernst genommen haben dies die Schulen auch vorher schon. Das Geschäft ist aber in den letzten Jahren viel aufwändiger geworden, weil immer mehr Kids deutlich enger und aufwändiger betreut werden müssen. Das kostet nicht nur sehr viel Engagement, sondern vor allem auch sehr viel Zeit auf Seiten der Lehrkräfte, die diese Jugendlichen für Praktika motivieren, immer versuchen, mit ihnen zusammen neue Berufsfelder zu entdecken, sie anhand ihrer Stärken motivieren oder gar bislang verborgene Talente wecken wollen.

Zeit hierfür gibt es nicht, viele dieser Kolleginnen und Kollegen werden vom Enthusiasmus für diese Aufgabe oder schlicht vom Verantwortungsgefühl gegenüber den jungen Menschen getragen. Eine Unterstützung wäre also nicht nur willkommen, sondern dringend vonnöten.

Keine Entlastung

Alte Weisheit: Wer mehr oder veränderte Aufgaben in die Schulen bringt, sollte auch dafür sorgen, dass diese auch geleistet werden können. Auch dieser Aufgabe hat man sich in Stuttgart inzwischen gestellt. Bei manchen Projekten gibt es zumindest so etwas wie eine Anschubfinanzierung, also für Pilotschulen hier und da mal ein Stündchen Entlastung, das man dann auf die 15 Lehrkräfte im Projekt verteilen darf.  In der Regel gibt es aber spätestens zum Rollout (Mögen Sie dieses tolle Wort auch so?) leider nur noch eine sehr originelle Einlassung der Projektverantwortlichen aus dem KM, die in etwa so lautet: Stunden haben wir nicht und gibt es auch nicht.

Aber das Thema, das ihr beackern müsst, steht ja sowieso im Bildungsplan und ist deshalb wichtig. Eigentlich ist es sogar noch viel wichtiger, denn es findet sich ja auch noch in einer Leitperspektive. Wenn das der Fall ist, müssen es eh alle machen. Dadurch wird die Last ja auf viele Schultern verteilt und der Auftrag somit leistbar. Somit braucht es folglich auch keine Entlastung.

Zugespitzt könnte man also auch sehr stark verkürzt sagen: „Mir hän nix und gän au nix. Un jetzt Gosche zue un schaffe.“ So würde es mein Uropa wohl in breitestem Alemannisch ausdrücken. Zugegeben etwas deutlich, aber den Kern trifft es irgendwie schon.

Neue onlinebasierte Plattform

Also so wie bei Textprofis, Starke Basis oder BISS-Transfer auch, müssen Berufsorientierung (im neuen Format dann „BOaktiv“) alle machen. Deshalb braucht es auch nichts. Im Gegenteil, es gibt sogar noch eine tolle neue onlinebasierte Plattform dazu, die modular aufgebaut ist und hochindividualisiert werden kann. Obendrein ist die so toll, dass sich die Arbeit quasi von selbst macht. Echt spannend.

Also das Ganze organisieren, koordinieren, evaluieren, individualisieren und die Begleitung in Praktika braucht keine Ressourcen, zumindest keine, die nicht ohnehin schon an der Schule vorhanden wären. Ehrlich gesagt musste ich bei der Erläuterung dieser äußerst spannenden Kausalkette dann doch etwas schlucken. Mal abgesehen davon, dass BOaktiv eine tolle Sache ist, in der bewährte Angebote zusammengeführt, weiterentwickelt und ergänzt wurden, muss doch wirklich auch einem sehr prominenten Vertreter der Industrie klar sein, zumindest wenn er als Experte in Schulfragen dort auftrat, dass bei all dem Vielen, das in den letzten Jahren auf ganz viele Schultern in den Kollegien verteilt wurde, zwar echt vieles auch echt wichtig war, aber es auf genau diesen Schultern halt eben vor aufgeteilter „Projektleritis“ keinen Platz mehr gibt.

Obwohl er dies auf Nachfrage der Moderatorin mit einem sehr lockeren „bei mir in der Firma interessiert das auch keinen“ negierte. Also wieder einmal mehr die Lehrkräfte als Jammerlappen. Vor allem das kann ich nicht mehr hören. Ich kann mir ehrlich nicht vorstellen, dass in seiner Firma die Damen und Herren aus der Produktion die Maschinen herstellen, die Kantine bewirtschaften, den Vertrieb und das Marketing managen, die Buchhaltung erledigen und auch noch die Logistik machen, obwohl das zu den Kernaufgaben der Firma gehört und alles echt wichtig ist.

Aber mit ein bisschen gutem Willen und auch der richtigen Haltung, aber vor allem ohne Gejammer, lässt sich das doch bestimmt ändern, auch in seiner Firma. Würde man wirkliche Expertinnen und Experten, also solche aus der Praxis tatsächlich auch hören, dann würden die bestimmt nicht so etwas sagen oder das, was man in der Politik an solchen Stellen gerne hören würden.

Tolle Ideen gibt’s nicht zum Nulltarif

Es geht eben nicht alles immer und immer wieder zum Nulltarif, selbst wenn die Idee toll ist. Wenn schon etwas so wichtig ist und auch eine Querschnittsaufgabe in Bezug auf einen gelungenen Übergang darstellt, dann sollte man dies auch so anerkennen. So wie beim Übergang von der Kita zur Schule auch. Dort gibt es wenigstens eine Art symbolische Anerkennung für diese Tätigkeit aus der Rubrik „zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel“. Die eine Stunde pro Schule (nein, nicht pro betreuter Kita-Gruppe), die es für diese zentrale und wichtige Aufgabe gibt, reicht dafür an keiner Grundschule aus. Warum dann noch, wenn es wirklich so wichtig ist, mal wieder die Gymnasien davon ausgenommen wurden, das wird wohl ewig ein Geheimnis bleiben.