Lederle spricht Klartext: Wenn die Untoten auferstehen

Klartext

Kennen Sie auch das Gefühl, wenn es Ihnen kalt den Rücken runterläuft? Neulich war es bei mir mal wieder so weit. Da erzählt mir jemand wieder so eine Geschichte mit einer vermeintlich einfachen Lösung. Dabei ist diese Lösung gar keine, weil sie das wirkliche Problem gar nicht erfasst. Von was ich rede? Na, dem bildungspolitischen Zombie und der ewig wiederkehrenden Diskussion um die Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung. Warum Zombie? Also. Es soll ja Leute geben, die behaupten, dass früher alles besser war.

Ob das tatsächlich so ist, liegt ja immer im Auge des Betrachters. Aber ich glaube schon, dass wir Menschen dazu tendieren, im Rückblick gewisse Dinge zu verklären. Ob es dann tatsächlich auch besser war? Anders war es bestimmt. Wie war es denn früher so? Früher gab es die Hauptschule, Realschule und das Gymnasium. Vor allem die erste Schulart gab es flächendeckend in ganz Baden-Württemberg genug, aber auch sehr viele Kinder, die beschult werden mussten. Es bestand also eine gewisse Notwendigkeit, viele Schulen zu haben.

Und plötzlich sanken die Zahlen der Kids. Unser Ministerpräsident wollte deshalb so ungefähr 11.000 Lehrkräfte abbauen. Schulen schlossen, vor allem Hauptschulen. Irgendwelche Schulrebellen erklärten die Hauptschule zum bildungspolitischen Schmuddelkind und die Eltern stimmten mit den Füßen ab. Es entstand also eine gewisse Notwendigkeit, sich über Schulstrukturen Gedanken zu machen. Die Rettung schien nah. Man wollte eine Schulart schaffen, die es erleichterte, die Abschlüsse in der Fläche zu halten, und weil man schon mal dabei war, sollte diese Schulart das auf eine ganz neue Art tun und die anderen Probleme der Politik, etwa Ganztag und Inklusion, auch noch gleich lösen. Die Gemeinschaftsschule war geboren, um zu bleiben. Nach anfänglicher Skepsis ist sie heute nicht nur selbstverständlich, sondern auch akzeptiert.

Aber da man ja Abschlüsse in der Fläche halten wollte, nahm man sich auch noch die Realschule vor. Der Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung machte in den Augen vieler Bildungspolitiker aus dem damaligen Regierungslager sowieso keinen Sinn mehr. Wo sollten die Kids auch hin, wenn es in der Nähe keine Hauptschule mehr gab und vielleicht auch keine Gemeinschaftsschule. Jedenfalls mussten die Realschulen auch Neuland betreten – nein, ich meine nicht das Internet, sondern den Hauptschulabschluss. Böse Zungen behaupten, dass das der Versuch war, die Realschulen mit mehr oder minder sanftem Nachdruck zur Konver- sion zur Gemeinschaftsschule zu bewegen. Ob dem so war, vermag ich nicht zu beurteilen. Was ich aber mit Sicherheit weiß, ist, dass, wenn das die Absicht war, man weder mit der Standhaftigkeit der Schulart noch mit dem öffentlichen Druck auch und gerade von uns gerechnet hatte. Sie existiert immer noch. Dennoch fremdeln heute immer noch viele mit der „neuen Kundschaft“ an der Realschule. Man will sie nicht und wünscht sich deshalb so mancherorts die verbindliche Grundschulempfehlung wie eh und je in der guten alten Zeit. Das würde dann alle Probleme ruckzuck lösen. Nur die ganzen Hauptschulen sind halt nicht mehr da. Aus ehemals 1.200 wurden im Laufe der Zeit etwas weniger als 300. An der Haupt-/Werkrealschule wurde sich dennoch weiter ausgetobt, als gäbe es die Kinder nicht, die genau die Arbeit dieser Schule brauchen würden. Wohin dann mit den Kids?

Mitten in diesen „Burgfrieden“ platzte dann ein unerwünschter Partygast: die G9-Initiative. Denn für viele Eltern ist klar, dass das G8 (auch wenn es das G8 immerhin auch schon 20 Jahre gab) gescheitert ist. Sie wünschten sich das „gute alte G9“ zurück, in dem sich alle lieb hatten und viel Zeit für die Theater- oder Musik-AG blieb. Genügend Gymnasiallehrkräfte gibt es ja eh, also wo ist das Problem? Auf die Idee aber kamen sie nicht, dass genau das auch Auswirkungen auf die anderen Schularten haben könnte. Logisch. Was soll auch dabei herauskommen, wenn sich Gymnasiallobbyisten und Gymnasialeltern um das Gymnasium kümmern? Um die anderen wird sich schon jemand kümmern oder auch nicht. Das ist so ähnlich wie mit dem Nilpferd und dem eigenen Dung.

Ganz zu schweigen davon, dass dieses Projekt extrem viel Geld kostet (so schlappe 500 Milliönchen Euro), das man an anderer Stelle im Bildungssystem vielleicht auch irgendwie gut gebrauchen könnte. Und wenn es nur dazu gut wäre, endlich den Grundschul- und Bestandslehrkräften HS/WRS A13 zu finanzieren. Das würde übrigens nur einen Bruchteil des Geldes kosten. Was auf jeden Fall passieren würde, das war selbst den Befürwortern von G9 klar, sind die Auswirkungen auf die Schülerströme. Die Befürchtung war dann schnell da, dass es die verbindliche Grundschulempfehlung (GSE) wieder braucht, damit nicht Krethi und Plethi plötzlich auf die Idee kommen könnten, das Kind am jetzt noch „einfacheren“ Gymnasium anzumelden. Mal ehrlich, als wären die nicht einmal zehn Prozent Kids mit nicht passender GSE, die am Gymnasium sind, das Problem.

Die Tendenz zum „Abschulen“ der Gymnasien ist ja legendär, ob die GSE passt oder nicht. Die anderen Restschulen werden das schon richten. Ich würde mir da eher Sorgen machen, wenn die 20 Prozent Kids mit gymnasialer GSE an den Realschulen und Gemeinschaftsschulen am Gymnasium angemeldet würden, und die hätten ja eine passende GSE. So viele Räume und Lehrkräfte haben selbst die Gymnasien nicht und diese wären auch nicht eben mal schnell gebacken. Was bringt denn da eine verbindliche GSE? Die Gymnasien würden mit Sicherheit überlaufen und die E-Schülerinnen und -Schüler wären weg von den Realschulen und Gemeinschaftsschulen.

Dann bliebe da noch das statische Pradoxon, das ich in meiner Zeit als Konrektor einer Realschule in einem bevorzugten Stadtteil Freiburgs erleben durfte. Wir hatten kaum Schülerinnen und Schüler aus diesem Stadtteil. Warum? Na ja, die Übergangsquoten an die Gymnasien oder entsprechende Privatschulen ähnelten stark den Wahlergebnissen in Nordkorea. Trotz verbindlicher GSE. Wenn das der alte Gauß wüsste. Der ist aber wenigstens nicht untot, sondern einfach nur unbestechlich mathematisch korrekt. Welche Probleme würde also die verbindliche GSE lösen? Vielleicht die der Zombies, aber die real existierenden eher nicht.

Dirk Lederle, Schulleiter Johanniterschule Heitersheim, stellvertretender VBE-Landesvorsitzender