Lederle spricht Klartext: Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe

Klartext

Eigentlich interessiert es mich nicht wirklich, was andere freundliche Mitbewerber in der Interessenvertretung von Lehrkräften so schreiben. Das mag vielleicht arrogant klingen, ist es aber nicht. Ich stelle nur immer wieder fest, dass man anderorts wohl in einer Parallelwelt zu leben scheint, die mit meiner schulischen Realität wenig kongruent ist. Aber sei’s, wie es ist, wir leben ja in einer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft und da hat bekanntlich jeder ein Recht auf seine Meinung, sei sie auch noch so abstrus. Normalerweise will ich mich schlicht nicht an der Meinung irgendwelcher Leute abarbeiten. Ich habe ehrlich gesagt genug damit zu tun, mich auf die wesentlichen Aspekte unserer eigenen Arbeit zu konzentrieren.

Gelegentlich kommt es aber dennoch vor, dass man mir irgendein Postulat der Gegenseite vorlegt und mich um meine Meinung bittet. Wie neulich, als eine Freundin mir Ausschnitte aus Magazinen vorlegte und mich fragte, wie wir als VBE eigentlich dazu stehen würden. Ehrlich jetzt? Na dann. Ich begann zu lesen. Klar kritisiert man dort heftig die Reformvorhaben aus Stuggi. Von wegen Grundschulempfehlung, neuer Verbünde und so weiter. Alleine schon aus gekränkter Eitelkeit heraus, dass die eigenen Ideen wenig bis gar nicht berücksichtigt wurden und auch weil Kritisieren stets leichter ist, als sich konstruktiv und dialogorientiert in Prozesse einzubringen.

Fundamentalopposition eben. Ist ja auch immer leichter zu sagen, dass man Dinge gaaaaanz anders machen würde, egal ob dies in der Realität möglich wäre oder gar wirklich etwas bewirken könnte. Allheilmittel Nr. 2 ist die einfache Lösung für komplexe Probleme. Genau das macht mich sowieso immer skeptisch, auch bei politischen Lösungsvorschlägen. Aber sei’s drum. Was ich allerdings überhaupt nicht nachvollziehen kann, ist, wenn man auf der einen Seite genau das kritisiert, was man auf der anderen Seite plötzlich wieder so oder so ähnlich lobt. Zu abstrakt?

Ich versuche es mal mit einem Nichtbildungsthema: Also so wie mein Vater, der sein Leben lang rauchte und mir als Teenie, als ich selbst in der Ausprobierphase war, gefühlt stundenlange und sehr eindringliche Vorträge über die Gefahren des Rauchens hielt. Mich motivierte das nur zu einem Kommentar: Wenn zwei das Gleiche tun, ist es halt noch lange nicht dasselbe. Über den anschließenden Grundsatzvortrag von wegen Respekt und so hülle ich aus Gründen des Selbstschutzes besser den Mantel des Schweigens.

Nun denn: In so einem Postulat stand also zu lesen, dass man die Möglichkeit der Schaffung von neuen Verbünden zwischen Realschulen und Werkrealschulen grundsätzlich ablehne, da sie die Komplexität des Bildungssystems erhöhen würde. Keine Sau würde auf gut Deutsch gesagt dann noch den Durchblick haben und man müsse sowieso und ohnehin das ganze System grundsätzlich einfacher gestalten. Also nix mit Pluralismus, Vielfältigkeit und so, eher das Gegenteil. Interessant. Nun sind solche Verbünde jedoch erstens nicht neu, denn es gibt sie schon 70-Fach in Baden-Württemberg (z. B. an meiner Schule). Und zweitens: Warum sind solche Verbünde abzulehnen, wenn auf der anderen Seite organisatorische Verbünde zwischen Gemeinschaftsschulen und Gymnasien zur Bildung einer gemeinsamen Oberstufe ausdrücklich begrüßt werden? Hä? Man findet auch grundsätzlich regionale Kooperationen zwischen Gemeinschaftsschulen klasse. Wenn aber Realschulen in Bezug auf das G-Niveau kooperieren wollen, egal ob in Verbünden oder auch regional eigenständig, dann ist das also „böse“ und nicht praktikabel. So ganz konsistent scheint mir das alles nicht zu sein. Bei mir jedenfalls hinterlässt das mehr Fragezeichen als Antworten.

Einen anderen Aspekt finde ich sehr spannend. Man fordert nämlich auch die flächendeckende Rückkehr zur verbindlichen Grundschulempfehlung. Klasse. Das löst dann schwuppdiwupp alle Probleme. Ach wirklich? Also wenn man das machen würde, nur mal so angenommen, wo würden dann eigentlich die Kids mit einer Haupt-/Werkrealschulempfehlung so hingehen? Auf welche der landesweit in der Fläche nicht mehr existierenden Haupt- oder Werkrealschulen gingen die denn so? Also ich kenne relativ viele sowohl städtische als auch ländliche Regionen, in denen es nur noch Realschulen und/oder ganz gelegentlich auch mal eine Gemeinschaftsschule gibt. Sollen denn im großen Stil landesweit neue Haupt-/Werkrealschulen gegründet werden? Welche Schulträger sollen denn beim Gedanken, dies tun zu dürfen, vor Freude in die Luft springen und dann auch noch finanzieren wollen? Also welche Kommune gibt mal eben so locker rund 10 Mio. € für einen Schulneubau aus (exklusive des Zuschusses des Landes), nur weil irgendein Grüpple sich dies so ausgedacht hat? Oder will man dort etwa die GMS, sofern denn eine erreichbar wäre, grundsätzlich zu so einer Art HS 2.0. machen?

Recht hat man allerdings damit, wenn man sich fragt, ob denn so ein verbindlicheres Instrument überhaupt geeignet scheint, die Schülerströme effektiv vom Gymnasium wegzulenken. Oder wie erklärt man denn sonst mit Gauß und dessen Normalverteilung die Empfehlungsquote ans Gymnasium, die vor allem an städtischen Grundschulen so mancherorts herrscht? Oder auch, warum so viele Kids mit ehemals einer gymnasialen Grundschulempfehlung dann doch im „Abschulertopf“ der Gymnasien landen?

So ist es halt mit den Meinungen. Manchmal gehen sie auseinander. Teilen muss ich sie nicht, denn wenn zwei das Gleiche sehen, scheint die Wahrnehmung noch lange nicht dieselbe zu sein und die Schlussfolgerungen daraus schon gar nicht.

Dirk Lederle

Schulleiter Johanniterschule Heitersheim, stellvertretender VBE-Landesvorsitzender