Lederle spricht Klartext: Wie schön, dass sich manche Dinge nicht ändern – bei anderen wäre es mal an der Zeit

Klartext

Ich weiß nicht, ob Sie das auch kennen. Also mir ging dies immer bei meiner Mutter so. Weihnachten war Backzeit und ehrlich gesagt, habe ich mich schon ab November auf den legendären Christstollen von ihr gefreut. Den gab es jedes Jahr. Immer nach unveränderter traditioneller Rezeptur. Hätte sie daran etwas geändert oder gar vergessen ihn zu backen, wäre ich nicht nur ziemlich verwundert gewesen, sondern richtig muff. Beim Kultusministerium geht’s mir ähnlich. Nur umgekehrt.

Ich finde es zwar richtig toll, dass der Duktus der Schreiben nun sehr viel strukturierter, klarer und persönlicher ist – Änderung, super. Man spürt auch durchaus mehr Wertschätzung (auch toll), aber irgendwie hat sich die grobe Marschrichtung hier kaum bis wenig geändert. Noch immer kommen diese Schreiben gerne kurz vor Knapp und bilden das Wochenendprogramm von Schulleitungen und Kollegien. Selbstverständlich auch immer noch mit Umsetzungsziel zum kommenden Montag. Also wenn Sie mich fragen, dann wäre ich hier umgekehrt zum obigen Fall durchaus nicht böse, wenn man uns da ein wenig mehr Karenzzeit einräumen würde. Zumindest in den Fällen, in denen man dies in der Thouretstraße selbst im Griff hätte, nämlich bei der CoronaVO Schule. 

On top – was denn sonst?

Was sich auch nicht geändert hat, ist, dass immer noch alles „on top“ kommt (so heißt das wohl in Stuttgart, habe ich mir sagen lassen). Gegenleistung? Entlastung? Diese beiden Wörter hat man offensichtlich in Stuggi nicht in den „aktiven Wortschatz“ übernommen. Jetzt mal ehrlich: Wie hoch ist Ihr gefühlter Ferienerholungspegel denn noch? Also meiner strebt schon gegen Minus-Unendlich. Und trotzdem scheint es nicht nur im Kultusministerium noch Menschen zu geben, die immer noch eine andere gute Idee haben. On top natürlich. Klar findet Schule auch außerhalb von Corona statt, aber das Thema ist im Moment noch so raumgreifend, dass für viele andere wichtige Themen, wie z. B. Schulentwicklung kaum bis keine Zeit bleibt. Solange ich immer noch mit Dingen wie Elternschreiben (sorry, aber die meisten Eltern verstehen die Infos des KM halt einfach nicht), der Information des Kollegiums, dem Organisieren der Testungen, dem Hinterhertelefonieren von Ergebnissen von PCR-Testungen, dem Prüfen von Attesten, der Überwachung der Testung der Kolleginnen und Kollegen, dem Eintragen von positiven Tests und Quarantänen, dem Beruhigen von Kindern bei einem positiven Schnelltest nebst Beratung der Eltern und ähnlichem beschäftigt bin, bleibt für andere Themen halt kaum Zeit. Nicht mal am Wochenende. Warum? Naja, siehe oben.

Priorisierung ist das neue Zauberwort

Da helfen auch die aufmunternden Worte des neuen MD relativ wenig, der in einem seiner Schreiben vom Mut zur Priorisierung gesprochen hat. Gelesen habe ich das sehr gerne. Das war nun wirklich gottseidank neu. Nur wirklich interessieren tut dies anscheinend niemanden. Ich wäre sehr gespannt, ob mein Schulamt Verständnis dafür hätte, wenn ich dieses Jahr die Schuljahresstatistik mit dem Verweis auf das Schreiben einfach ausfallen lassen würde. Die Einzigen, die das regelmäßig gegen mich „einsetzen“ sind mein Konrektor und meine Konrektorin: „Hey, du weißt doch. Da gab es doch das Schreiben, in dem was von Priorisieren stand. Das mach ich dann mal, wenn Corona rum ist.“ Recht haben sie. Aber machen müssen sie es trotzdem! Irgendwie kommt es mir vor, als wäre ich schon zu lange in Stuttgart. Das liegt dort wahrscheinlich in der Luft.

Naja, vielleicht ist man ja in Stuttgart dann doch mal Willens an einigen anderen „Traditionen“ den Hebel anzusetzen. Ich zumindest wäre in diesem Fall überhaupt nicht muff.

Dirk Lederle, Stellvertretender Landesvorsitzender