VBE im Gespräch mit der bildungspolitischen Sprecherin der Grünen

Was macht gute Schule aus?

Am 21. September 2016 begrüßten die stellvertretende Fraktionsvorsitzende und bildungspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, MdL Sandra Boser, und die Vorsitzende des Ausschusses Kultus, Jugend und Sport des Landtags, MdL Brigitte Lösch, eine VBE-Delegation im Abgeordnetenhaus des Landtags von Baden-Württemberg.

Den VBE repräsentierten der Landesvorsitzende Gerhard Brand, die Stellvertetenden Landesvorsitzenden Gerhard Freund und Michael Gomolzig sowie Heike Stober, Mitglied der Verbandsleitung.

Unterrichtversorgung

Zum Thema aktuelle Unterrichtsversorgung bestätigte Boser, dass zurzeit 200 allen voran Grundschul- und Sonderpädagogikstellen im Land unbesetzt seien, wobei die Situation durch regionale Schwerpunkte gekennzeichnet werde. Die bildungspolitische Sprecherin führte an, dass die Lage unter anderem mit der Erhöhung der Kontingentstundentafel der Grundschule, der Hochphase der Pensionierungen und weiteren bildungspolitischen Investitionen zusammenhinge. Schwierig gestalte sich die Einstellungssituation auch im Bereich von Engpassfächern (z. B. Musik, Naturwissenschaften) und Vorbereitungs- bzw. VABO-Klassen. Boser verwies auf den unternommenen Versuch, das Einstellungsverfahren zeitlich früher anzusetzen und verstärkt direkte Ausschreibungen umzusetzen.

Brand warnte vor einer in Anbetracht geringerer Lehramtsanwärterzahlen an den Seminaren zu erwartenden weiteren Verschärfung der Versorgungslage und sprach sich eindeutig dafür aus, hinsichtlich der Unterrichtsversorgung den Qualitätsanspruch aufrecht zu erhalten. Darauf basierend forderte der Landesvorsitzende eine frühzeitige Bindung und sichere Angebote für geeignete Berufsanfänger; der Lehrerberuf müsse langfristig eine höhere Attraktivität erhalten. Der Stellvertretende Landesvorsitzende Freund ergänzte, dass sich das Bild des Lehrers in der Öffentlichkeit und damit dessen Anerkennung zwar verbessert habe, die Modifikation der Arbeitsbedingungen und – dichte von Lehrkräften jedoch eine Veränderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bedeute und damit Einfluss auf das Berufswahlverhalten von jungen Menschen habe.

Lösch zeigte sich als engagierte Kämpferin für Sozialberufe und plädierte stark dafür, die Frage nach der Sinnhaftigkeit als zentrales Element der Berufs- und Studienwahl zu etablieren. Boser führte aus, notwendigen Reformen mit inhaltlicher Offenheit zu begegnen, frühzeitig in die Lehrergewinnung einzusteigen und Korridore anzusetzen sowie insbesondere im Bereich Sonderpädagogik die Studienzahlen zu erhöhen.

Qualität von Unterricht

Freund thematisierte, dass der Qualitätsrahmen des Landes Baden-Württemberg weit mehr umfasse als Unterricht und Unterrichtsentwicklung und somit zur Unterrichtsverpflichtung einer Lehrkraft zahlreiche Aufgaben hinzugekommen seien, für die keine Entlastung erfolgte. Boser bestätigte die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der zentralen Frage, was guter Unterricht sei, welche Lernräume, Lernmaterialien und pädagogische Maßnahmen diesbezüglich effektiv seien.

Brand machte darauf aufmerksam, dass die Unterrichtsversorgung unmittelbare Folgen bezüglich der Möglichkeiten und Grenzen zentraler bildungspolitischer Themen wie Unterrichtsentwicklung, Inklusion und Ganztag auslöse. Beispielsweise führe die bei Ausfällen übliche Praxis der Zusammenlegung von Klassen nicht zu einem vergleichbaren Maß an Unterrichtsqualität, sondern zur Überlastung von Lehrkräften. Lehrkräfte bewältigten viel mehr als Unterricht, weshalb der VBE die Qualitätsdebatte als berechtigt erachte.

Als wohltuend bezeichnete der VBE-Landesvorsitzende die Entfernung von der Strukturdebatte, die seitens der Kultusministerin mitgetragene Forderung nach Ruhe im Bildungssystem beziehungsweise dessen Konsolidierung teile der VBE umfänglich. Ziel müsse es sein, Aufgaben, die nicht mit Unterricht zu tun haben, umzustrukturieren und kontinuierliches pädagogisches Arbeiten zu ermöglichen. Notwendig sei die Konzentration auf die Kernfragen: Was kommt beim Kind an? und: Was können Lehrer leisten?

Sowohl Boser als auch Lösch befürworteten den Ansatz, Tätigkeiten, die nicht originäres Schulhandeln betreffen, outzusourcen und Schulen diesbezüglich personell zu unterstützen. In diesem Zusammenhang thematisierte Boser auch die im Haushalt zusätzlich abgebildeten Themen Grundschulkontingent, Inklusion und Ausbau des Ganztags. Brand forderte, personalintensive Projekte und Maßnahmen grundsätzlich und ausreichend personell zu unterfüttern. Freund bekräftigte die Notwendigkeit einer aus qualitätsbezogenen Untersuchungen von Projekten und Maßnahmen ableitbaren Bedarfserhebung, die in natürlicher Evaluationsfolge Konsequenzen auslösen müsse. Diesbezüglich bediente er sich der anschaulichen Metapher: „Nur durch das Wiegen wird die Sau nicht fetter.“

Beförderung von Haupt- und Werkrealschullehrkräften

Befragt nach der Ausgestaltung der Kabinettsvorlage zur Beförderung von Haupt- und Werkrealschullehrkräften nach A 13 führte Boser aus, dass ein zeitlicher Stufenplan vorgesehen sei, der im Endausbau alle im aktiven Dienst befindlichen, ursprünglich als Haupt- und Werkrealschulkräfte ausgebildeten Sekundarstufen I-Lehrkräfte berücksichtigen soll, die sich an den Qualifizierungsmaßnahmen beteiligen.

Aktuell gelte es zu klären, welche bzw. wie viele Lehrkräfte wann und in welchen Schritten hinsichtlich einer Beförderung eingeplant werden können. Fest stehe, dass die Qualifizierung zum Einsatz an Realschulen und Gemeinschaftsschulen an den für die Sekundarstufe I ausbildenden Staatlichen Seminaren für Didaktik und Lehrerbildung und zum Einsatz an Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren an einschlägigen Pädagogischen Hochschulen erfolgen solle. Für bisherige Haupt-/Werkrealschulkräfte solle parallel ermöglicht werden, ein Sonderpädagogikstudium zu absolvieren.

Auf diesbezügliche Nachfrage Brands sagte Boser die Einforderung eines dementsprechenden Fahr- beziehungsweise Ablaufplans zu.

Digitalisierung

Zu dem im Koalitionsvertrag aufgegriffenen Themenbereich Digitalisierung merkte Boser an, dass ein hohes Interessentenpotenzial vorhanden sei, für sie jedoch der pädagogische Mehrwert im Mittelpunkt stehe: Kann ein erhöhtes Maß an Digitalisierung zu einem Mehr an Chancengerechtigkeit, zu mehr individualisierter Förderung und zu mehr Medienkompetenz im Sinne der Medienbildung als Leitlinie beitragen?

Inklusion

Hinsichtlich des zentralen Themas der Inklusion konstatierte der VBE-Landesvorsitzende eine zunehmende Zahl von Kindern mit Förderbedarf. Wichtig ist dabei den Vertreterinnen von Bündnis 90/ Die Grünen, dass diese Kinder entsprechend gefördert werden können, egal an welcher Schule sie sich befinden. Voraussetzung dafür ist, dass Eltern den sonderpädagogischen Förderbedarf diagnostizieren lassen.

Nach einem Konzept zur Gewährleistung realer Wahlfreiheit von Erziehungsberechtigten zwischen einem Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum und einem inklusiven Setting befragt, führte Boser aus, dass das Inklusionsgesetz aktuell von den Schulämtern des Landes noch unterschiedlich umgesetzt werde, weshalb ein Ausbau der Beratung der Schulaufsicht notwendig sei.

Die Bildungspolitische Sprecherin ergänzte, dass das durchgängige Zwei-Pädagogen-Prinzip da wo notwendig auch umgesetzt werden soll. Boser sprach sich dafür aus, den Wunsch der Sonderschullehrkräfte nach Offenheit bezüglich ihrer dienstlichen Verortung, zu respektieren. Die Praxis werde im Anschluss an die aktuelle Übergangszeit zeigen, welche Option sich durchsetzen werde. Wünschenswert sei eine Überarbeitung des Organisationserlasses, wie Boser an einem Beispiel der Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren mit Förderschwerpunkt Lernen verdeutlichte. Hier bilde der Berechnungsansatz die Realität nicht ab. Da mit steigender Inklusionsnachfrage der diesbezügliche Finanzbedarf steige, sei eine Mittelerhöhung im Haushalt vorgesehen.

Als mögliche Schwerpunkte weiterer Gespräche wurden Ganztagsschulangebote und  Schulleitungsgewinnung ins Auge gefasst. Beide Seiten zeigten sich an der Fortsetzung von Gesprächen interessiert.

Heike Stober, Mitglied der Verbandsleitung

Alle Bilder: Michael Gomolzig, Pressesprecher des VBE