VBE-Kommentar: Von selbsternannten Schulinspektoren und anderen Bildungsexperten

selbsternannte Schulinspektoren

Jeder von uns kennt das wohl. Wenn von „uns Lehrern“ die Rede ist, gibt es immer Leute im Bekannten- und Freundeskreis, die nicht lange in ihrer Vorurteilskiste kramen müssen, um dann so richtig loszulegen. In meinem Freundeskreis findet dies zum Glück nicht mehr statt. Vielleicht ist dies auch der Tatsache geschuldet, dass ich solche Diskussionen mit einem Halbsatz sofort und unmissverständlich abwürge: „Die Berufswahl ist halt auch eine Frage der Intelligenz…“ Und eigentlich ist mir dieses Thema wirklich zu doof, aber manchmal und ganz gelegentlich geht mir auch nach mehr als 20 Berufsjahren noch der Hut hoch. 

Neulich erreicht mich eine Mail eines selbsternannten Schulinspektors: „Nach all den Corona-Ferien finde ich einen Unterrichtsausfall als nicht hinnehmbar und ÄUSSERST grenzwertig.“ Dieser Schulinspektor – prekärer Weise tatsächlich Amtsinspektor an einem Amtsgericht – beschwert sich also darüber, dass wir uns wieder einmal getraut hatten eine Konferenz durchzuführen. Nach Wochen der BigBlueButton (BBB)-Konferenzen und Umlaufbeschlüssen gab es schlicht vieles gemeinsam zu besprechen und zu entscheiden. Bei aller Routine im BBB-Format, aber manches geht halt doch nur von Angesicht zu Angesicht. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Konferenzen mit über 80 Beteiligten in der Sporthalle nicht gerade vor Ambiente strotzen. Ich schrieb ihm deshalb freundlich und mit viel Wertschätzung zurück – wie man dies als guter Schulleiter so tut – und bedankte mich artig für seine Rückmeldung. Aber dennoch konnte ich mir einen etwas bissigen Nachsatz nicht verkneifen: „Es wird wegen Konferenzen dann nicht mehr zu Unterrichtsausfall kommen, wenn (wovon ich ausginge) die dienstlichen Besprechungen am Amtsgericht nach Feierabend oder wahlweise auch am Wochenende stattfinden würden.“

Ich habe sehr viel Verständnis für den Frust vieler Eltern. Die unsichere persönliche und berufliche Situation nagt an vielen Menschen. Es war sicher auch nicht ganz einfach den eigenen Nachwuchs als Hilfslehrkraft zuhause zu beschulen. Dieses Problem ist auch „uns Lehrern“ sicher nicht ganz fremd, wenngleich wir sicher den existenziellen Druck der Kurzarbeit oder drohenden Arbeitslosigkeit nicht haben. Weltfremd durchs Leben gehen „wir Lehrer“ aber dennoch nicht. 

„Berufliche Unfähigkeit“ von echten Bildungsexperten attestiert

Genau diese Weltfremdheit und sogar noch schlimmer, die berufliche Unfähigkeit attestierte „uns Lehrern“ neulich auch ein wirklicher Bildungsexperte, sogar Professor, in einem Interview eines nicht ganz unbedeutenden Nachrichtenmagazins, das uns kurz zuvor sogar noch als heimliche Corona-Helden bezeichnet hatte. So schnell geht es also im Mediengeschäft – heute noch Held und morgen schon wieder überbezahlte Dorftrottel. Wir hätten der Gesellschaft viel zu wenig zurückgegeben, wären sogar abgetaucht und wenig um Beruf und Schüler bemüht. Aber verallgemeinern wolle er nicht. Ach wirklich? Ich jedenfalls habe keine abgetauchten Kolleginnen und Kollegen erlebt. Weder an meiner eigenen Schule, noch klagten Nachbarschulleitungen darüber. Im Gegenteil dazu gab es jedoch leider eine veritable Anzahl von abgetauchten Eltern nebst deren Sprösslingen. Aber prägen diese mein Bild von „den Eltern“? Nein. 

Lehrkräfte haben deutlich über ihrem „Soll“ gearbeitet

Ich habe sehr viele Kolleginnen und Kollegen erlebt, die mehr als bemüht waren und sich ihrer Verantwortung sehr bewusst waren. Sie haben sich in den Fernlernunterricht – was für ein schönes Wort – eingebracht, die Notbetreuung auch in den Ferien unterstützt und auch den Präsenzunterricht für schwer erreichbare Schülerinnen und Schüler absolviert. Viele haben sogar Kindern das Material hinterhergetragen, sind an den Häusern vorbei, um zumindest aus der Ferne und mit genügend Abstand den Kontakt zu „ihren Kindern“ zu halten. Andere wiederrum haben die digitale Herausforderung angenommen und sich in ein komplett neues Unterrichtskonzept eingearbeitet. Aber eingebracht haben sich zumindest an meiner Schule so ziemlich alle. Gab es da qualitative Unterschiede? Sicher. Die gab es. Aber die gibt es immer. Schauen sie sich doch nur beim nächsten Mal am Kopierer die unterschiedliche Güte in der Gestaltung der Arbeitsblätter an. Haben „die Schulen“ die Digitalisierung verschlafen? Nein, denn dazu braucht es erst einmal die Voraussetzungen. Solange wir nicht einmal vom Dienstherren ein digitales Endgerät gestellt bekommen und es immer noch Schulträger gibt, die weder Hausmeister, Sekretariate oder Computer an Schulen für nötig erachten, wird dieses Thema auch noch für längere Zeit ein Entwicklungsfeld in der Bildungslandschaft bleiben. Nicht umsonst haben erst zwei Prozent der Schulen ihre Gelder abgerufen. Wer schon einmal in den Untiefen des Medienentwicklungsplans gefangen war, der weiß auch warum. Eine Steuerklärung ist dagegen quasi selbsterklärend. Wie ist das eigentlich bei den Professoren? Bringen die auch die eigenen Computer mit an die Hochschule und geben sich selbst aus dem privat bezahlten Handy einen Hotspot, damit sie WLAN haben? 

Meinungen von selbsternannten Schulinspektoren und Bildungsexperten

Ist meine Meinung repräsentativ, reliabel oder gar valide? Sicher nicht. Die des Professors aber sicher auch nicht. Sie nervt einfach nur, weil er seine Sachexpertise und seine Funktion schlicht missbraucht, um Stimmung zu machen. Warum auch immer, aber vielleicht braucht er schlicht mal wieder Presse, obwohl ich mir nicht ganz sicher bin, ob dies die strengen wissenschaftlichen Kriterien einer Publikation erfüllen. Ganz abzusehen von der Tatsache, dass seine tatsächliche Kenntnis des Schulalltags sicher sehr begrenzt sein dürfte. Aber das Lehrerbashing ist halt ein ziemlich weit verbreiteter Volkssport in allen gesellschaftlichen Schichten. Jeder weiß es besser, nur kaum einer kann es dann auch wirklich – ähnlich wie beim Fußball. Armer Jogi Löw!