„Wenn die Schulleitungen vor Ort zusammenklappen, dann geht gar nichts mehr“

Entlastung von Schulleitungen, Gendersternchen oder die Gleichbehandlung von Kitas in der Pandemie: An Themen mangelte es nicht für das erste Treffen der VBE-Verbandsleitung mit dem neu formierten Arbeitskreis Bildung der FDP-Landtagsfraktion. Lesen Sie im Folgenden die Antworten von Dr. Timm Kern, stellvertretender Vorsitzender und bildungspolitischer Sprecher der FDP im Landtag, und Dennis Birnstock, neues Mitglied des Landtags und Sprecher der FDP-Fraktion für frühkindliche Bildung.

 

Anmerkung: Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) Baden-Württemberg weist darauf hin, dass der Artikel „Wenn die Schulleitungen vor Ort zusammenklappen, dann geht gar nichts mehr“ bereits in der Oktober-Ausgabe des VBE Magazins in einer nicht von den interviewten FDP-Abgeordneten autorisierten Fassung veröffentlicht wurde. Der VBE bittet darum, diesen Fehler zu entschuldigen. Die nun vorliegende Version ist autorisiert.

Genderstern

VBE:

Es gab zuletzt große Diskussionen um eine gendergerechte Sprache an Schulen. Wir sehen es kritisch, dass die Schulen in Baden-Württemberg laut Landesregierung nun selbst entscheiden sollen, ob die Schülerinnen und Schüler mit Sternchen schreiben oder nicht. Das öffnet Tür und Tor für Eltern, die Druck machen, um ihre Sichtweise durchzusetzen. Diese Konflikte hätte man den Schulen ersparen können.

Dr. Kern:

Ich schwanke zwischen Humor und Ärger. Wir haben an den Schulen doch wirklich genügend Themen, welche die Landesregierung dringend anpacken sollte – und zwar schnell! Sich stattdessen damit zu befassen, wo ein Sternchen gesetzt wird, da findet doch seitens des Landes eine Realitätsverweigerung statt. Ich teile Ihre Einschätzung, dass mit dem Vorgehen des Ministeriums Tür und Tor geöffnet wird, um Lehrkräfte unter Druck zu bringen und ideologische Themen zu setzen.

Birnstock:

Es gibt sicher wichtigere Themen, aber es ist ein sehr emotionales Thema. Die Schulen benötigen ein Regelwerk, wenn wir jetzt der Willkür freien Lauf lassen, ist das nicht nachzuvollziehen. Wenn es dann noch innerhalb der Schule von jeder Lehrkraft anders gehandhabt wird, wird es vollends chaotisch.

Schulleitung

VBE:

Es gibt viele Schulleitungen, die während Corona den Job gekündigt haben. Die Belastungen nehmen weiter zu. Wir fragen uns, wann die zweite Stufe des Schulleiterkonzepts eingeführt wird. Von der ersten Stufe haben vor allem die kleinen Schulen profitiert, das war wichtig und richtig. In der zweiten Stufe wäre es wichtig, dass die großen Schulen mehr Leitungszeit erhalten.

Dr. Kern:

Man kommt sich in der Opposition manchmal vor wie Sisyphos. Ich habe die bisherige Kultusministerin wieder und wieder aufgefordert, sie möge die Schulleitungen entlasten, denn diese haben Unmenschliches gleistet und zu allen anderen Aufgaben auch noch oft zusätzlich Aufgaben des Gesundheitsamtes übernommen. Wenn die Schulleitungen vor Ort zusammenklappen, dann geht gar nichts mehr. Eine finanzielle Anerkennung war wichtig, reicht aber langfristig nicht. Ziel muss es sein, Schulleitungen kurzfristig und nachhaltig zu entlasten. Aus meiner Sicht hat das Kultusministerium leider die konkreten Probleme der Menschen an den Schulen ein Stück weit aus den Augen verloren. Das ist natürlich kein guter Zustand.

Kitas in der Pandemie

VBE:

Uns wurde oft rückgemeldet, dass die Kitas sich in der Pandemie vergessen fühlen. Zum Teil wurden sie nicht mal mit Masken ausgestattet, und wenn, dann oft nur mit medizinischen. Die Notbetreuung in den Kitas war eigentlich eine Farce. Wir arbeiten auf allen Kanälen daran, dass die neue Landesregierung den Kitas auf Augenhöhe begegnet und in den Kitas die höchste Priorität setzt.

Birnstock:

Sie haben es angesprochen: Wenn die Kitas offiziell zu waren, waren sie praktisch trotzdem offen. Wir müssen nun eine mögliche vierte Welle in den Blick nehmen, müssen das gesamte Infektionsgeschehen in den Blick nehmen, nicht nur die Inzidenz, sondern auch die Impfquote und Bettenbelegung im Krankenhaus. Luftfilter sind dabei ein wichtiger Punkt, die Kitas kann man hier nicht mit einem Budget von zehn Millionen abspeisen. FFP2-Masken muss es ebenfalls in den Kitas geben, für die, die sie tragen wollen, aber natürlich ohne Maskenpflicht. Es wurde allerdings viel zu lange verschlafen, dem Kitapersonal Masken bereitzustellen.

Kita: Fachkräftemangel und Leitungszeit

VBE:

Es wurde viel Leitungszeit über das Gute-Kita-Gesetz generiert. Die Leitungszeit ist aber nicht im Mindestpersonalschlüssel festgeschrieben. Es steht zu befürchten, dass wenn das Gute-Kita-Gesetz ausläuft, das Geld nicht mehr da ist. Ein weiteres Problem ist, dass der Mindestpersonalschlüssel in der Praxis oft nicht mehr eingehalten werden kann. Welche Pläne hat die FDP, um mehr Leute in den eigentlich tollen Beruf zu bringen?

Birnstock:

Eine Kita braucht festgeschriebene Leitungszeiten. Der Beruf muss auch attraktiver werden. Eine Möglichkeit wäre es, den pädagogischen FachkräftenPersonen mit einer kaufmännischen Ausbildung zur Seite zu stellen. Eine andere Möglichkeit wäre, in Richtung Quereinstieg zu denken. In jedem Fall müssen wir die bezahlte Ausbildung attraktiver machen und PiA ausbauen. Wir brauchen einen Mix aus alldem.

Dr. Kern:

Wir haben mit dem Orientierungsplan eine ganz hervorragende Grundlage. Die FDP hat immer wieder darauf gedrängt, diesen als verbindlich zu erklären und auch mit den entsprechenden Ressourcen zu unterlegen. Das Ministerium sagte bisher , es brauche zuerst eine Evaluierung des Orientierungsplans. Aus meiner Sicht könnte der Orientierungsplan auch unabhängig davon schrittweise umgesetzt werden

Sekundarstufe I

VBE:

Wer die Sekundarschularten stärken will, muss die Grundschulempfehlung (GSE) stärken. Sie braucht dringend mehr Gewicht. Wir haben Kinder, welche die Hauptschule oder Werkrealschule brauchen. Die Hauptschule/Werkrealschule darf daher nicht diskriminiert werden – zum Beispiel bei der Besoldung der verbliebenen Bestandslehrkräfte. Mit Blick auf die Gemeinschaftsschule sind wir der Meinung, wer Coaching als Markenkern definiert, muss diesen auch leistbar machen. Es geht um die Leistbarkeit des Auftrages – bei der Inklusion etwa tragen die Gemeinschaftsschulen die Hauptlast. An der Realschule wiederum sehen wir das M-Niveau und den Realschulabschluss als Markenkern. Bei vielen Realschulen gibt es eine Werkrealschule in der Raumschaft, hier braucht es das G-Niveau nicht zwingend an der Realschule.

Dr. Kern:

Die Qualität einer Schule hängt doch nicht vom Türschild ab. Das gilt für alle Schularten. Ich würde mir bei der Bildungspolitik möglichst viel Bildung und möglichst wenig Politik wünschen. Ich wundere mich sehr, was die CDU im Koalitionsvertrag alles unterschrieben hat.

Die FDP ist für die Wiedereinführung der Verbindlichkeit der GSE. Die hohen Sitzenbleiberzahlen sind inakeptabel. Wir stehen für ein vielfältiges, ausdifferenziertes Bildungswesen. Wir brauchen nicht die „eine Schule für alle“, sondern die passende Schule für jedes Kind.

Die Haupt- und Werkrealschulen, die es noch gibt, sind unverzichtbar. Um ihnen eine Zukunftsperspektive zu geben, schlagen wir vor, sie zu „Beruflichen Realschulen“ mit einem gestärkten berufspraktischen Profil und einer engen Anbindung an die Beruflichen Schulen weiterzuentwickeln. Leider hat unser entsprechender Gesetzentwurf im Landtag dafür keine Mehrheit erhalten. Aber wir bleiben an diesem Thema dran.

Die Realschule ist das Rückgrat unseres Bildungswesens. Man sollte nicht versuchen, durch die Hintertür das G-Niveau einzuführen. Das G-Niveau braucht es nur dort an der Realschule, wo es sein muss, weil es in der Umgebung keine Werkrealschule oder Hauptschule gibt, und dann in äußerer Differenzierung.

Die FDP will die Gemeinschaftsschule nicht abschaffen. Wenn vor Ort eine Gemeinschaftsschule gewünscht wird, akzeptieren wir diese Entscheidung selbstverständlich. Die FDP/DVP-Fraktion erreichen allerdings immer mehr Hinweise, dass das pädagogische Konzept der Gemeinschaftsschule die Lehrerinnen und Lehrer dort über Gebühr belastet und in ihren Handlungsmöglichkeiten einschränkt.

SBBZ/ Inklusion

VBE:

Der VBE steht für starke SBBZ – auch als Voraussetzung für eine gelingende Inklusion. Für viele Schulen funktionieren die kooperativen Formen der Inklusion sehr gut – sie müssen den anderen Inklusionsformen gleichgestellt sein.

Dr. Kern:

Wir haben an den SBBZ ein unverzichtbares Expertentum. Eine Schullandschaft ohne SBBZ wäre eine dramatische Verarmung zulasten der Schülerinnen und Schüler. Diese Schulen abzuschaffen, wie in manchen anderen Bundesländern, ist mit der FDP nicht zu machen. Wir stehen für die Wahlfreiheit der Eltern. Kooperative Formen der Inklusion müssen unserer Ansicht nach zudem eine anerkannte Form der Inklusion sein.