„Doppelt so viele Kitas als ein Jahr zuvor müssen mit einer für das Kindeswohl gefährlichen Personalunterdeckung arbeiten. Im Ü-3-Bereich weicht inzwischen an den meisten Kitas die Fachkraft-Kind-Relation von der wissenschaftlichen Empfehlung ab. Und an den allermeisten Kitas gibt es kein Konzept zur Gesundheitsprävention. Kurz: Man hat es im großen Maßstab versäumt, im Kitabereich für professionelle Arbeitsbedingungen zu sorgen. Der jüngste Tarifabschluss ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung, wirkt aber angesichts der Studienergebnisse wie ein Tropfen auf dem heißen Stein“, so das ernüchternde Fazit des VBE-Landesvorsitzenden Gerhard Brand zur DKLK-Studie 2022.
Rund 2.000 Kitaleitungen haben sich in Baden-Württemberg an der fürs Land repräsentativen Studie beteiligt. Ein Teil der Fragen wurde bereits in der DKLK-Studie 2021 gestellt, so dass entsprechende Zeitvergleiche möglich sind.
Personalsituation
Acht von zehn Kitaleitungen (83 %, 2021: 70 %) berichten, dass sich der Personalmangel in den vergangenen zwölf Monaten verschärft hat und es noch schwieriger geworden ist, offene Stellen mit passenden Bewerberinnen und Bewerbern zu besetzen.
16 % aller Kitas (2021: 8 %) haben in den letzten zwölf Monaten in über der Hälfte der Zeit mit erheblicher Personalunterdeckung unter Gefährdung der Aufsichtspflicht arbeiten müssen. Nur 8 % der Kitas konnten in den zurückliegenden 12 Monaten mit einer durchgehend ausreichenden Personalausstattung arbeiten. „Trotz aller versprochenen Fachkräfteoffensiven hat sich die Personallage nochmal drastisch zugespitzt. Mit Blick auf die enorme Bedeutung der frühkindlichen Bildung für die gesamte Bildungsbiografie von Kindern ist dies eine einzige Katastrophe“, konstatiert Brand.
Fachkraft-Kind-Relation
Der dramatische Personalmangel trifft Fachkräfte wie Kinder gleichermaßen: An sieben von zehn Kitas (72 %) im Ü-3-Bereich weicht die tatsächliche Fachkraft-Kind-Relation von der wissenschaftlichen Empfehlung ab, die bei 1:7,5 liegt. An 27 % der Kitas im Ü-3-Bereich muss eine einzige Fachkraft zwölf oder mehr Kinder betreuen.
Im U-Drei-Bereich kommen in 43 % aller Kitas fünf oder mehr Kinder auf eine einzelne Fachkraft, in jeder zehnten Kita (13 %) sind es sogar acht oder mehr Kinder – die wissenschaftliche Empfehlung liegt bei drei Kindern je Fachkraft.
Gerhard Brand: „Der Handlungsdruck ist massiv. Erst recht mit Blick auf noch nicht gedeckte Betreuungsbedarfe und neue Herausforderungen wie die Integration teilweiser traumatisierter Flüchtlingskinder aus der Ukraine oder der Fachkräftekonkurrenz aus dem Grundschulbereich – Stichwort Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung für Kinder im Grundschulalter ab 2026. Die Politik muss nun endlich ohne Wenn und Aber alles tun, was möglich ist, um diesen Zustand zu verbessern. Ein Verschieben auf Morgen wäre unterlassene Hilfeleistung.“
Zeit für Leitung
Erneut gibt über ein Drittel der Kitaleitungen (36 %, 2021: 38 %) an, dass ihnen weniger als 20 % der Arbeitszeit für Leitungstätigkeiten vertraglich zur Verfügung steht. Fast jede zehnte Leitungskraft (9 %, 2021: 9 %) berichtet, über keinerlei vertragliche Leitungszeit zu verfügen. Rund die Hälfte dieser Kitaleitungen (46 %) berichtet aber, tatsächlich mehr als 60 % ihrer Arbeitszeit für Leitungstätigkeiten zu benötigen.
Gerhard Brand: „Auch hier zeigt sich deutlicher Handlungsbedarf. Für eine Professionalisierung des Berufsbilds ist eine bessere Passung von vertraglicher und tatsächlicher Leitungszeit zwingend notwendig.“
Themenschwerpunkt Gesundheit
Neun von zehn Kitaleitungen berichten, dass die hohe Arbeitsbelastung der pädagogischen Fachkräfte zu höheren Fehlzeiten und Krankschreibungen führt. An sieben von zehn Kitas gibt es kein Konzept zur Gesundheitsprävention für das pädagogische Fachpersonal. 18 % der Kitaleitungen gibt an, in den letzten zwölf Monaten mehr als 21 Tage zur Arbeit gegangen zu sein, obwohl sie sich aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeitsfähig gefühlt haben. Zwei Drittel der Kitaleitungen fühlt sich durch ihre Tätigkeit psychisch belastet.
Der VBE-Landesvorsitzende warnt: „Neben der akuten Überlastung des engagierten Kitapersonals ist die zu verzeichnende Entwicklung zugleich ein verheerendes Signal an den dringend benötigten Nachwuchs.“
DKLK-Studie 2022: Dringende Handlungsbedarfe
- Aufeinander abgestimmte und flächendeckende Investitionen im Rahmen einer landesweiten Fachkräfteoffensive, ergänzt um regional angepasste Maßnahmen. Die Ausbildung im frühpädagogischen Bereich darf dabei qualitativ nicht ausgedünnt werden.
- Sofortmaßnahmen zur Beseitigung aufsichtspflichtrelevanter Personalunterdeckungen.
- Anpassung der vertraglich fixierten Leitungszeit an den tatsächlichen Bedarf.
- Systematischer Aufbau und Zugang zu Angeboten der Gesundheitsprävention und -förderung.
- Verbesserte Arbeitsbedingungen mit Blick auf Bezahlung, Einführung einer grundsätzlich vergüteten Ausbildung, Weiterbildungsangebote und eine bedarfsgerechte räumliche und sächliche Ausstattung.