Die Entwicklung ist alarmierend: Gab 2019 noch eine Minderheit von fünf Prozent der Schulleitungen in Baden-Württemberg an, ihre Tätigkeit nicht mehr gerne auszuüben, sind es in diesem Jahr über 20 Prozent. Das hat die aktuelle Umfrage des Sozialforschungsinstituts forsa im Auftrag des VBE ergeben. Vom 15. September bis zum 20. Oktober haben bundesweit 1.310 Schulleitungen an der Umfrage teilgenommen – 250 davon aus Baden-Württemberg.
„Die Anzahl der Schulleitungen, die mit ihrem Beruf unzufrieden sind, hat sich innerhalb von fünf Jahren vervierfacht. Die Zahlen spiegeln eine schwerwiegende Entwicklung wider. Insbesondere, wenn wir die Bedeutung von Schulleitungen für die Schulentwicklung bedenken. Es ist aber auch eine Entwicklung, die alle Lehrerinnen und Lehrer abschreckt, die darüber nachdenken, eine Schulleitung zu übernehmen“, sagt der Landesvorsitzende des VBE Baden-Württemberg, Gerhard Brand.
Etwa die Hälfte der Schulleitungen würde Beruf nicht weiterempfehlen
Bedenklich ist, dass fast jede zweite Schulleitung (49 Prozent) ihren Beruf nicht weiterempfehlen würde. Der Anteil, der den Beruf auf jeden Fall oder wahrscheinlich weiterempfehlen würde, ist von rund zwei Drittel im Jahr 2019 (65 Prozent) auf etwa die Hälfte (48 Prozent) in der aktuellen Umfrage gesunken.
Gerhard Brand: „Den Schulleitungen werden immer mehr Aufgaben aufgebürdet. Es verwundert daher nicht, dass knapp die Hälfte der Kolleginnen und Kollegen ihren Beruf nicht weiterempfehlen würden und Schulleitungsstellen vakant bleiben.“
Etwa vier von zehn Schulleitungen (36 Prozent) sagen, dass sie es nur noch gelegentlich und manchmal auch gar nicht mehr schaffen, ihre beruflichen Aufgaben zur eigenen Zufriedenheit zu erfüllen.
„Im Vergleich zu unserer ersten Erhebung im Jahr 2018 hat sich dieser Wert von 16 auf jetzt 36 Prozent mehr als verdoppelt. Wenn aber immer mehr Schulleiterinnen und Schulleiter derart belastet sind, dass sie ihre beruflichen Pflichten nicht mehr angemessen leisten können, dann treibt man sie in die innere Kündigung oder aber, sie kehren dem Dienst an der Schule ganz den Rücken“, so Gerhard Brand.
Lehrkräftemangel weiterhin größtes Problem
Der Lehrkräftemangel wird weiterhin als das größte Problem an den Schulen in Baden-Württemberg angesehen (60 Prozent) und bewegt sich in etwa auf Bundes-Niveau (62 Prozent). 42 Prozent der befragten Schulleitungen gaben an, dass zu Beginn des Schuljahres eine, zwei, drei oder sogar mehr Stellen unbesetzt waren.
„An diesen Schulen kommt es zwangsläufig zu Einschnitten“, so Brand.
Verwaltungsarbeiten als größter Belastungsfaktor
Fast alle Schulleitungen (98 Prozent) klagen in der aktuellen Umfrage über steigende Verwaltungsarbeiten, dicht gefolgt von einem stetig wachsenden Aufgabenspektrum und dass Politikerinnen und Politiker bei ihren Entscheidungen den tatsächlichen Schulalltag nicht beachten (beides 96 Prozent). Ein mangelndes Zeitbudget halten 95 Prozent der Befragten für belastend.
Schulleitungen fordern Entlastung
Nahezu jede Schulleitung (99 Prozent) fordert mehr Anrechnungsstunden zur Erfüllung besonderer Aufgaben. 96 Prozent fordern, die Leitungszeiten bei allen Schulen zu erhöhen. Eine bessere personelle Ausstattung mit multiprofessionellen Teams und nicht-pädagogischen Fachkräften, wie Schulsekretärinnen und Hausmeistern, wünschen sich 91 beziehungsweise 90 Prozent der Schulleitungen.
„Es muss dringend etwas geschehen, damit Schulleitungen wieder das Gefühl bekommen, wertgeschätzt, unterstützt und verstanden zu werden. Eine Entlastung der Kolleginnen und Kollegen ist dringend angezeigt“, so Brand.
Mehr Personen ohne vorherige Lehramtsausbildung an Schulen
Knapp die Hälfte der befragten Schulleitungen (45 Prozent) sagt, dass an ihrer Schule mindestens eine Person ohne vorherige Lehramtsausbildung unterrichtet. 2018 waren es 18 Prozent.
Ganztagsbetreuung in Grundschulen
62 Prozent der befragten Schulleitungen schätzen, dass ihre Schule bis zum Schuljahr 2026/2027 ein Angebot zur Ganztagesbetreuung für alle Kinder, die 2026/2027 eingeschult werden, gewährleisten kann. 29 Prozent gehen davon aus, dass die Betreuung von der Kommune nicht sichergestellt werden kann.
„Der VBE warnt die politischen Verantwortlichen davor, beim Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung Erwartungen zu wecken, die im Nachhinein nicht eingelöst werden können. Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung wird in der Fläche nicht einzulösen sein. Falsche Erwartungen führen zu Frustrationen sowohl bei denjenigen, die den Rechtsanspruch umsetzen müssen, als auch bei denjenigen, die sich auf ihn berufen“, sagt der VBE-Landesvorsitzende.
Der VBE fordert:
- Erhöhung der Leitungszeit und Gestaltungsspielräume für Schulleitungen
- Mehr Anrechnungsstunden für Lehrkräfte zur Erfüllung besonderer Aufgaben
- Verbesserung der Rahmenbedingungen zum Umgang geflüchteter Kinder in der Schule
- Den flächendeckenden Einsatz von multiprofessionellen Teams sowie die Einstellung von nicht-pädagogischen Fachkräften
- Eine pädagogische und wissenschaftliche Vorqualifizierung sowie eine begleitende Qualifizierung von Direkteinsteigern, sowie einen Masterabschluss in einem schulaffinen Fach