Der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Gerhard Brand, bewertet das heute von der Robert Bosch Stiftung herausgegebene Schulbarometer.
„Wir sehen, dass immer mehr Schulkinder von Ängsten aufgrund der finanziellen Lage ihrer Eltern geplagt sind. Dies ist eine gefährliche Entwicklung und eine Schande für ein reiches Land wie Deutschland. Das Schulbarometer zeigt, dass besonders Kinder aus finanziell ohnehin schon stärker belasteten Familien unter dieser gesamtgesellschaftlichen Entwicklung sehr zu leiden haben, was sich direkt auf die Lernfähigkeiten der Kinder auswirkt. Immer häufiger fehlt das Geld für zentrale Dinge des Schulalltages wie angemessene Sportkleidung, Ausflüge oder sogar das Mittagessen. Schülerinnen und Schüler gehörten bereits in Corona-Zeiten zu den Hauptleidtragenden, dies darf sich in der Inflation nicht wiederholen. Es ist Aufgabe der Politik, hier passende Maßnahmen zu ergreifen. Sie muss betroffene Familien, aber auch Schulen in besonders betroffenen Regionen schnell und unbürokratisch zu unterstützen.“
Aufholprogramme nach Corona zeigen Wirkung
„Es ist sehr erfreulich, dass wir Verbesserungen bei den Problemen sehen, unter denen Schülerinnen und Schüler zu leiden haben, beispielsweise im Bereich der Motivationsprobleme oder beim Schulabsentismus. Langsam kommen die Aufholprogramme nach Corona in den Schulen an. Aber auch wenn es hier eine teils sehr positive Entwicklung gibt, bedeutet dies nicht, dass wir das Ziel schon erreicht haben. Es braucht an dieser Stelle weiterhin die Unterstützung des Bundes. Dies gilt auch für den Einsatz multiprofessioneller Teams, um die vielfältigen psychischen Belastungen der Schülerinnen und Schüler aufzufangen. Dies wird auch dadurch sichtbar, dass beispielsweise Konzentrationsprobleme unverändert hoch auftreten. Der eingeschlagene Weg, hier über passgenaue Programme wie Aufholen nach Corona, weist in die richtige Richtung. Er muss aber auch konsequent zu Ende gegangen werden. Andernfalls bleiben viele psychisch belasteten Schülerinnen und Schüler abgehängt.“
Teilzeitkräfte würden aufstocken, wenn Voraussetzungen stimmen
Mit Blick auf die fast zwei Drittel der Lehrkräfte in Teilzeit, die sich eine Aufstockung ihres Stundenkontigengentes rein theoretisch vorstellen könnten, kommentiert Brand: „Viele Schulen leiden unter dem akuten Lehrkräftemangel. Auch wenn die Politik feuchte Augen bekommen mag, wenn sie hört, dass sich viele Lehrkräfte vorstellen könnten, ihre Stundenzahl heraufzusetzen, müssen wir feststellen: Bis die Voraussetzungen dafür erreicht sind, ist es noch ein sehr weiter Weg. Es braucht mehr Betreuungszeit für die eigenen Kinder und eine drastische Reduzierung außerunterrichtlicher Tätigkeiten. Allerdings wird hier etwas anderes sehr deutlich: Die Lehrkräfte wollen. Geben Sie ihnen endlich die Bedingungen, die dafür notwendig sind!“
Digitalsierung gerät ins Stocken
Die Ergebnisse im Bereich Digitalisierung ordnet Brand folgendermaßen ein: „Viele der offenbarten Herausforderungen sehen wir täglich in den Schulen und auch in unseren eigenen repräsentativen Umfragen. Immer noch geben über 40 Prozent der Befragten an, in Schulen ohne angemessenen Internetanschluss zu arbeiten. Hier fehlt die grundlegende Voraussetzung, um überhaupt über digital gestützten Unterricht nachdenken zu können. Dass dies vermehrt Förderschulen und Schulen mit vielen Kindern aus herausfordernden Lagen betrifft, ist ein weiterer Puzzlestein zu weniger Bildungsgerechtigkeit. Wie kann die Politik sich angesichts dieser Zahlen überhaupt fragen, ob es einen Digitalpakt 2.0 braucht? Auch fehlt es weiterhin an hochwertigen digitalen Lernangeboten, auf die Lehrkräfte ihren Unterricht aufbauen können. Hier darf sich die Politik nicht auf dem Erreichten ausruhen. Sie muss endlich ihre Versprechen einlösen und dringend Abhilfe schaffen.“
Inklusion: Oft fehlt es an notwendigen Ressourcen
Ähnliche Fallstricke sieht Brand auch, was den Themenbereich Inklusion angeht: „Das Schulbarometer bestätigt in punkto Inklusion, was auch der VBE in seinen repräsentativen Umfragen abbilden konnte: Die mangelhafte Ausgestaltung gefährdet die Inklusion an deutschen Schulen. Lehrkräfte brauchen Unterstützung bei der zusätzlichen Beschulung von Kindern mit Förderbedarf. Dies betrifft sowohl die Unterstützung durch multiprofessionelle Teams als auch eine angemessene Vorbereitung im Studium. Es ist erschreckend, dass sich nicht einmal jede zehnte neu ausgebildete Lehrkraft gut auf eine inklusive Beschulung vorbereitet fühlt. Hier muss dringend nachgebessert und die Ausbildungsinhalte auf die aktuellen Herausforderungen angepasst werden. Darüber hinaus braucht es deutlich mehr Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen, um die zunehmende Zahl von Kindern mit Förderbedarf angemessen auffangen zu können.“
Weitere Infos zum Schulbarometer
Seit 2019 befragt die Robert Bosch Stiftung regelmäßig Lehrkräfte und Schulleitungen zur Lage an den Schulen. Für das aktuelle Schulbarometer wurden im Juni mehr als 1.000 Lehrkräfte an allgemein- und berufsbildenden Schulen befragt. Neben den Beobachtungen zur Kinderarmut sind bei dieser Befragung vor allem die Verhaltensauffälligkeiten der Schülerinnen und Schüler sowie die größten Herausforderungen für Lehrkräfte bemerkenswert.