Aber der Bildungsaufbruch darf kein zusätzliches Geld kosten
Stuttgart. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) Baden-Württemberg sieht die grün-rote Landesregierung in der Zwickmühle. Auf der einen Seite müssen die 34 Starter-Gemeinschaftsschulen rasch sichtbare Erfolge vorweisen, damit sie in der Schullandschaft der Renner werden, zu dem sie von den Befürwortern schon jetzt hochstilisiert werden. Andererseits ist Bildung ein langwieriger Prozess, dessen Früchte meist erst nach vielen Jahren geerntet werden können. Obendrein tritt der Finanzminister auf die Schuldenbremse und verhindert, dass die neue Schulart die Ausstattung bekommt, die sie eigentlich benötigt.
Wenn die Gemeinschaftsschule eine überzeugende Schulart werden soll, ist schon der Start entscheidend. Die Qualität muss von Beginn an überzeugen, soll die Gemeinschaftsschule eine Zukunft haben. Dabei sind nach Auffassung des VBE folgende Parameter zwingend notwendig: Die ausreichende Versorgung mit Lehrerstunden sollte dauerhaft gesichert sein – speziell wegen des Ganztagesbetriebes. Für die besondere Form des Lernens müssen die Lehrer umfassend aus- und weitergebildet werden. Die Zusammenarbeit zwischen allen Schularten muss – auch wegen möglicher Übergänge von Schülern – reibungslos funktionieren. Institutionen und Einrichtungen im Umfeld der Schulen und aus der Lebenswelt der Schüler sollten feste Bestandteile des schulischen Alltags werden.
Der Politik ist es trotz etlicher Informationsveranstaltungen bisher nicht gelungen, überzeugend darzustellen, dass es sich bei den Gemeinschaftsschulen nicht um Gesamtschulen, sondern um etwas völlig Neues mit einem besonderen pädagogischen Konzept handelt. In der Öffentlichkeit ist vielfach der Eindruck entstanden, dass die Gemeinschaftsschule als Ersatz für die sterbende Hauptschule und damit als Standortsicherung für Kommunen mit zurückgehenden Schülerzahlen angesehen wird. Bestenfalls sieht man in der neuen Schulart die organisatorische Zusammenlegung von Haupt- und Realschule, wie das die CDU mit der „Oberschule“ angedacht hat.
Der Zwang, mit der Gemeinschaftsschule zum Erfolg verdammt zu sein, und die dilettantische Umsetzung bei der Einführung – allein der Eiertanz um die Deputate der dort unterrichtenden Lehrer hat Kabarettniveau – bestätigen die Skeptiker der neuen Schulart, deren Grundidee in der Reinform trotzdem einen beinahe paradiesisch anmutenden Charme ausstrahlt. Die Schulwirklichkeit ist für solche Visionen aber noch nicht genügend vorbereitet, zumal der Finanzminister des Landes auch alles dafür tut, dass die Schulen weder das Personal noch die sächlichen und räumlichen Ausstattungen bekommen, die sie für diese neue Schulform benötigen – auch mit Blick auf die Realisierung der Inklusion, die niemals kostenneutral zu haben ist.
Als sehr problematisch erscheint dem VBE die Zusammenführung unterschiedlicher Lehrer in der Gemeinschaftsschule, so wie es in der Endausbaustufe sein soll. In den Lerngruppen arbeiten dann Pädagogen mit der Lehrbefähigung für Sonderschulen, Grundschulen, Haupt- und Werkrealschulen, Realschulen, Gymnasien und Fachlehrer mit unterschiedlichen Unterrichtsverpflichtungen (von 25 bis 31 Stunden pro Woche), mit unterschiedlichen Ausbildungswegen und -zeiten (von gerade mal zwei bis über sieben Jahre) sowie mit unterschiedlicher Besoldung [vom Fachlehrer mit A 9 bis zum Studiendirektor mit A 15], was je nach Besoldungsstufe einen Gehaltsunterschied von bis zu 3418 Euro monatlich(!) ausmachen kann.
22. Januar 2012