Qualitätsverbesserungen nicht auf dem Rücken der Lehrkräfte

Der VBE Südbaden hält eine Absenkung des Klassenteilers in allen Schularten für dringend notwendig. Wenn die grün-rote Regierung individualisierten Unterricht anstrebt, mit dem Schülerinnen und Schüler besser gefördert werden sollen, so muss es dringend eine Verbesserung der Lehrer-Schüler-Relation geben.

Silke Siegmund, Vorstandsmitglied im VBE Südbaden

Die stellvertretende Vorsitzende des VBE Südbaden, Silke Siegmund (Offenburg), stellt dazu zwei Möglichkeiten vor: entweder muss man dazu den Klassenteiler absenken oder das Zwei-Pädagogen-Prinzip in den Klassen einführen. Beide Möglichkeiten scheinen aber vom Kultusministerium aus finanziellen Gründen nicht in Erwägung gezogen zu werden. Auch andere Möglichkeiten der äußeren Qualitätsverbesserung können angesichts der Haushaltslage nur langsam umgesetzt werden. Siegmund: „Damit bedeuten viele der beabsichtigten Qualitätsverbesserungen eine Arbeitsverdichtung für Lehrkräfte, für die sie letztlich nicht entlastet werden. Außerdem können die Lehrkräfte so der individuellen Förderung der Kinder nicht gerecht werden.

Der VBE hatte gehofft, dass mit seinem Einsatz bei der Entfristung der Verträge der Pädagogischen Assistenten (PA) bei gleichzeitiger Entgelterhöhung nach E 8 der Durchbruch an Haupt- und Werkrealschulen gelungen sei. Momentan kämpft er darum, zeitnah das Gleiche für PAs an Grundschulen zu erreichen, deren Verträge 2013 auslaufen. Mangels finanzieller Möglichkeiten hat die Kultusministerin aber einen ‚Taschenspielertrick‘ angewandt und verhindert dadurch quasi, die Einstellung weiterer PAs: jede Schule, die ab September 2012 eine/n weiteren PA einstellt, muss diese/n über die eigene Lehrerversorgung ‚bezahlen‘. Das Prinzip ist ganz einfach: „Gib mir eine Lehrkraft zurück, dann gebe ich dir eine/n PA.“ Silke Siegmund: „Wenn schon zusätzliche PAs nicht zu finanzieren sind, dann ist an Team-Teaching zweier Lehrkräfte wohl schon gar nicht zu denken.“ Genau dies aber wäre der Königsweg, um eine deutliche Verbesserung der Unterrichtsqualität zu erreichen, so die VBE-Mandatsträgerin.

Die schwarz-gelbe Vorgängerregierung hatte noch mit der Absenkung des Klassenteilers begonnen. Oftmals wird übersehen, dass Grundschulen schon immer Gemeinschaftsschulen waren mit einem enorm großen Leistungsunterschied und Stütz- und Förderbedarf in den Klassen. Daher ist nach VBE-Ansicht für Grundschulen und Gemeinschaftsschulen der Klassenteiler mit 28 Schülern viel zu hoch, zumal die Lehrerversorgung insgesamt weitgehend auf Minimalniveau gefahren wird. Das bedeutet, dass individuelle Förderung in den meisten Fällen nur auf dem Papier steht. Wenn dann in den Klassen der Sekundarstufe I aller anderen Schularten vielfach um die 30 Kinder sitzen, so könne sich eine Lehrkraft noch so anstrengen. „In so großen Klassen von pädagogischer Qualität zu sprechen ist Augenwischerei.“ Siegmund: „Die Lehrkräfte tun was sie können, aber zaubern können sie auch nicht.

Individuelle Förderung und standardisierte Tests im Wettstreit

VBE warnt vor falsch verstandener Testeritis-Gläubigkeit

Stuttgart. Während einerseits in den neu einzurichtenden Gemeinschaftsschulen No­ten eine untergeordnete Rolle spielen sollen, werden Schüler andererseits mit immer mehr standardisierten Tests, Diagnose- und Vergleichsarbeiten, mit Kompetenzanalysen und zentralen Klassenarbeiten „beglückt“. Im Schlagschatten internationaler Vergleichsstudien werden Kinder und Ju­gendliche allzu gern – mit durchaus hehren Absichten – in Raster gepresst, welche computergestützte statistische Auswertungen und Rankings erleich­tern. Aber nicht alles lässt sich mit Hilfe von Datenbanken erfassen, nicht alle Schüleraktivitäten lassen sich vergleichen.

Wenn Schulen dem Leitbild folgen “Wir machen Kinder stark“, lässt sich das nur schwer evaluieren, unterstreicht der Verband Bildung und Erziehung (VBE) Baden-Württemberg. Zu tiefgehend und zu vielschichtig sind die Anforderun­gen, die an valide Ergebnisse gestellt werden. Immer deutlicher kristallisiert sich heraus, dass Schulen sich nicht mit den Methoden der Wirtschaftsunternehmen messen und steuern lassen, und dass Vergleichsstudien wie Pisa pädagogische und soziale Erfolge nur fragmentarisch und lediglich mehr oder minder am Ran­de erfassen. Messbarkeitshörigkeit verlangt aber nach harten Fakten. So ist es nur natürlich, dass vor allem Lesekompetenz, Sprachen, Mathematik und Natur­wissenschaften in den Fokus der Untersuchungen rücken und „abgefragt“ wer­den und weniger die sozialen Kompetenzen, musisch-ästhetische Aspekte, Ar­beitszufriedenheit und die psychische Stabilität der Schüler.

Material- und Zeitaufwand stehen häufig in keinem vernünftigen Verhältnis zu der Unterstützung, die auf das Ergebnis folgen müsste. So soll jetzt auch an den achten Realschulklassen die Kompetenzanalyse AC (Assessment Center) einge­führt werden. Aber weder Stütz- und Förderstunden noch kleinere Klassen noch Pädagogische Assistenten hält die Landesregierung für die Realschulen in petto, um die Situation dieser erfolgreichen und stabilen, aber von den Schülerzahlen ziemlich „gebeutelten“ Schulart zu optimieren. „Nicht die Diagnose verbessert die Qualität der schulischen Arbeit; man benötigt vor allem die passende `Medi­zin´ und eine adäquate `Therapie´, um den Lernerfolg der Schüler noch mehr voranzubringen“, sagt VBE-Chef Gerhard Brand. Tests und Vergleiche könnten in bestimmten Bereichen durchaus Defizite aufzeigen, aber nicht beseitigen. Al­les lasse sich in der Schule sowie nicht in Diagramme und Tabellen pressen. Deshalb warne der VBE vor einer Testeritis-Gläubigkeit.

20. November 2011