VBE: Wird das Amt des Kultusministers zum Schleudersitz?

Köpfe werden ausgetauscht, an der Politik ändert sich wohl nichts

Stuttgart. Den Verband Bildung und Erziehung (VBE) Baden-Württemberg überrascht der Rücktritt der Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) zu diesem Zeitpunkt, wo sie doch gerade erst den Misstrauensantrag der Opposition über­standen hat. Wenn Bildungspolitik bei den Menschen vor Ort nicht richtig an­kommt, muss man sich fragen, ob es etwas nützt, wenn man den Kopf an der Spitze eines Ressorts austauscht, die Politik aber nicht verändert.

VBE Landesvorsitzender Gerhard Brand

Gerhard Brand, VBE Landesvorsitzender

Schulen wurden in letzter Zeit immer wieder von Reformen überrollt und sehnten sich nach Stabilität und Ruhe zum Arbeiten. „Mal keine Reform, das wäre eine Reform“ hieß es in Lehrerkreisen. Jetzt mangelt es auch dem Kultusministerium an Stabilität. Vor der Weihnachtspause wurde der Pressesprecher geschasst, jetzt nimmt die Kultus­ministerin auf internen Druck ihren Hut, demnächst wechselt der Staatssekretär auf den OB-Sessel in Karlsruhe. „Kontinuität, Stabilität und Verlässlichkeit sehen anders aus“, stellt VBE-Chef Gerhard Brand mit Bedauern fest.

Wenn bei einem Fußballverein die Spieler keine Tore schießen, werde der Trainer ausgewechselt. Wenn die Bildungspolitik der grün-roten Landesregierung bei der Bevölkerung nicht anzukommen scheine, werde die Kultusministerin in die Wüste ge­schickt. Während die Kultusministerin noch für Lehrerstellen kämpfte, sprach sich Mi­nisterpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) für einen massiven Abbau von Lehrer­stellen aus. Wenn das Kultusministerium beim Umbau der Bildungslandschaft Gas ge­ben wollte, zog der Finanzminister die Notbremse, was zwangsläufig zu Unmut bei allen Beteiligten führte. „Inklusion, mehr Ganztagesangebote und Gemeinschaftsschu­len, einen richtigen Ergänzungsbereich für Stütz- und Förderkurse sowie AG-Stunden kann es nicht unter dem Diktat des Rotstiftes geben“, sagt VBE-Chef Brand. Auch ein neuer Kultusminister benötigt für neue Aufgaben zusätzliches Personal.

Der VBE bedauert, dass der seitherigen Kultusministerin Dinge vorgeworfen wurden, die weniger in der Sache begründet sind, sondern eher aus der Mottenkiste des Spieß­bürgertums stammen: Warminski-Leitheußer ist nicht die einzige Führungskraft, deren enger Zeitplan immer wieder Verspätungen bei wahrzunehmenden Terminen bedingt.

 

8. Januar 2013

VBE: Kultusministerin nicht „anschießen“, sondern stark machen gegen die Begehrlichkeiten des Finanzministeriums

Stuttgart/Wiesloch. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) Baden-Württemberg möchte die Kultusministerin gegenüber den Begehrlichkeiten der Finanzpolitik mehr ge­stärkt wissen, damit deren bildungspolitischen Vorhaben mit Unterstützung der Lehrerschaft durchgeführt werden können. Nur wenn man den Schulen ausrei­chende Lehrerstellen lässt und den Pädagogen die notwendige Unterstützung und Zeit gewährt, können Reformen auf Dauer erfolgreich umgesetzt werden.

Auf die Lehrerschaft warten gewaltige Aufgaben: Selbst- und Fremdevaluation laufen bereits an den Schulen, neue Bildungspläne werden vorbereitet. Mehr individuelles Lernen der Schüler erfordert ein Mehr an qualitativ hochwertiger Lehrerfortbildung. Zusätzliche Ganztagesgrund- und Gemeinschaftsschulen sowie Inklusion sind eine ge­waltige Herkulesaufgabe, die eine intensive Basisarbeit in der Fläche nach sich zieht. Die regionale Schulentwicklung – für manche Kommunen ein schmerzhafter Prozess – steckt noch in den Kinderschuhen. Obendrein will die Landesregierung massiv Lehrer­stellen abbauen und bei den Junglehrern weitere Sparmaßnahmen durchdrücken.

Gleichzeitig schwappen immer mehr gesellschaftliche Probleme in die Schulen wie Essstörungen, Suchtverhalten, Mobbing, Ausgrenzungen, Intoleranz und Gewaltbereit­schaft.

Gute Schulen sind keine Privatangelegenheit der Lehrerinnen und Lehrer, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auch gemeinsam finanziert werden muss. Die Empörung an den Schulen über die Sparmaßnahmen ist deshalb so groß, weil alle wissen, dass das Bildungswesen vor gewaltigen Herausforderungen steht. Diese bil­dungspolitischen Herausforderungen sollte die Kultusministerin dem Ministerpräsi­denten und Finanzminister mit belastbarem Zahlmaterial untermauert verständlich machen, bevor die Landesregierung aus rein fiskalischen Gesichtspunkten mit dem Rasenmäher alle zarten Reformpflänzchen rigoros zurückstutzt und damit auch die Kultusministerin schwächt. Der Stuhl jedes Kultusministers ist ein Schleudersitz, denn der Amtsinhaber steht stets im Fokus der zum Teil gegensätzlichen Interessen anderer Politiker, aufmerksamer Schülereltern, aller Lehrer, der Wirtschaft und einer äußerst kritischen Öffentlichkeit. Deshalb muss die Kultusministerin Stärke mit stichhaltigen Argumenten zeigen. Ein charmantes Lächeln hilft wenig bei verbalem Dauerbeschuss.

30. September 2012