VBE weist Kritik an der Lehrerschaft zurück

Rechtschreibung ist so wichtig, wie die Gesellschaft es möchte

Stuttgart. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) Baden-Württemberg weist die Kritik des Rats für deutsche Rechtschreibung (Mannheim) an den Lehrern in aller Deutlichkeit zurück. Korrektes Schreiben ist ordentlicher Bestandteil aller Bildungspläne, wird aber in der Realität stets nur so viel Gewicht haben, wie die Gesellschaft der Rechtschreibung de facto auch einräumt.
VBE Landesvorsitzender Gerhard Brand

Gerhard Brand, VBE Landesvorsitzender

In den 70er-Jahren wurde auch in Folge der Thesen des englischen Soziologen Basil Bernstein zu den schichtspezifischen Ebenen der Sprache („elaborierter Code“ der Ober- und Mittelschicht und „restringierter Code“ der Unterschicht) der Wert von Rechtschreibung an sich immer mehr infrage gestellt. Das Gewicht, das in den Schulen auf „korrekte“ Sprache und orthographisch richtiges Schreiben gelegt worden war, wurde hinterfragt. Nicht auf das „Vehikel“ Schrift komme es an, sondern ausschließlich der Inhalt sei von Bedeutung, hieß es. Das „Mündliche“ bekam gegenüber dem „Schriftlichen“ ein besonders Gewicht.

In den „Hessischen Rahmenrichtlinien“ von 1972 fanden diese Gedanken Niederschlag und provozierten damals – auch im deutschen Blätterwald – heftige Diskussionen. Man machte man sich verstärkt Gedanken darüber, ob richtiges Schreiben durch das häufige Diktieren von Texten, wie es in der Grundschule üblich war („das wöchentliche Diktat“), wirklich „erlernt“ werden könne.

Die Rechtschreibreform zur Jahrhundertwende (1998) ließ die Diskussion über den Wert richtigen Schreibens wieder aufflammen. Auch da ging es in emotional geführten Debatten darum, ob mit einer veränderten Rechtschreibung der Untergang des Abendlandes drohe. „Lehrer halten sich an die Vorgaben der Bildungspläne“, weist VBE-Chef Gerhard Brand, die Kritik des Rechtschreibrates an die Adresse der Lehrerschaft zurück. Wenn der Rat etwas verändern wolle, müsse er bei den Lehrplänen ansetzen. Außerdem sei in der Gesellschaft noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, damit richtiges Schreiben nicht nur in der Schule wieder als wertvoll angesehen werde. Zurzeit sei die Rechtschreibung – insbesondere bei Kurznachrichten (SMS), in Chaträumen und Online-Foren – nicht einmal zweitrangig, sondern völlige Nebensache. Erst bei Bewerbungsschreiben greife man dann sicherheitshalber zum Duden.

30. November 2011

Neue Rechtschreibung ist an den Schulen kein Aufreger mehr

VBE zur jüngsten Focus-Umfrage:

Stuttgart. Auch wenn nach der jüngsten repräsentativen Umfrage des Nachrichten­magazins „Focus“ eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger die 1996 be­schlossene und 1998 eingeführte Rechtschreibreform ablehnt, ist die neue Rechtschreibung an den Schulen kein Aufreger mehr, versichert der Spre­cher des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) Baden-Württemberg, wiewohl Schüler nach wie vor mit der Rechtschreibung zu kämpfen haben.

VBE Pressesprecher Michael Gomolzig

Michael Gomolzig, Sprecher des VBE

15 Jahre nach der Einführung des neuen Regelwerks sind zwischenzeitlich alle Schüler – sogar die Abiturienten – mit der reformierten Rechtschreibung groß ge­worden, für die es wichtigere Probleme gibt als die Frage, ob heute mit scharfem ß oder mit ss geküsst werden soll. Eine gewisse Unsicherheit herrscht dagegen eher bei älteren Lehrkräften, die bisweilen nicht wissen, ob das Wort weiterhin auf die gewohnt alte Weise, nach der neuen Rechtschreibung oder nach den in den Jahren 2004 und 2006 noch einmal überarbeiteten Regeln geschrieben wird.

Lehrer greifen, bevor sie Schülern etwas mit Rot als falsch anstreichen, si­cherheitshalber nach dem neuesten Duden, um sich zu vergewissern, was nun aktuell gilt. Bei Schülern rufen höchstens noch Bücher in alter Schreibweise Irri­tationen hervor, die es als Ganzschriften oder in Klassenbüchereien noch gibt, obwohl die regulären Schülerbücher mittlerweile alle auf neuestem Stand sind.

„Natürlich ist die noch immer geäußerte Kritik bei einzelnen Bestandteilen der Reform berechtigt“, räumt der VBE-Sprecher ein, „aber selbst die alten Recht­schreibregeln enthielten eine Fülle von Ungereimtheiten, und trotzdem ging das Abendland nicht unter.“ Sprache sei immer im Fluss und verändere sich. Auf je­den Fall sollten Beliebigkeiten in der Schreibweise vermieden werden, die Schü­ler grundsätzlich mehr verunsicherten als unterstützten.

Der große Wurf war diese Rechtschreibreform nach Meinung vieler Experten sowieso nicht, eher ein kleines Sowohl-als-auch-Reförmchen. So seien weder die groß geschriebenen Anfangsbuchstaben bei Substantiven noch überflüssige Buchstaben abgeschafft worden. Schüler müssten nach wie vor überlegen, ob sie Fater oder Vater schreiben sollen, Witamine oder Vitamine. Sex dürfe nicht wie Seks und Fuchs nicht wie Fuks aussehen. Auch das als überflüssig empfundene Y wurde nicht durch ein I oder Ü ersetzt. Statt „Xylophon“ künftig „ksülofon“ zu schreiben, wäre eine Orthografie-Revolution gewesen, über die es sich zu streiten gelohnt hätte, behauptet der VBE-Sprecher.

31. Juli 2011