VBE warnt vor falsch verstandener Testeritis-Gläubigkeit
Stuttgart. Während einerseits in den neu einzurichtenden Gemeinschaftsschulen Noten eine untergeordnete Rolle spielen sollen, werden Schüler andererseits mit immer mehr standardisierten Tests, Diagnose- und Vergleichsarbeiten, mit Kompetenzanalysen und zentralen Klassenarbeiten „beglückt“. Im Schlagschatten internationaler Vergleichsstudien werden Kinder und Jugendliche allzu gern – mit durchaus hehren Absichten – in Raster gepresst, welche computergestützte statistische Auswertungen und Rankings erleichtern. Aber nicht alles lässt sich mit Hilfe von Datenbanken erfassen, nicht alle Schüleraktivitäten lassen sich vergleichen.
Wenn Schulen dem Leitbild folgen “Wir machen Kinder stark“, lässt sich das nur schwer evaluieren, unterstreicht der Verband Bildung und Erziehung (VBE) Baden-Württemberg. Zu tiefgehend und zu vielschichtig sind die Anforderungen, die an valide Ergebnisse gestellt werden. Immer deutlicher kristallisiert sich heraus, dass Schulen sich nicht mit den Methoden der Wirtschaftsunternehmen messen und steuern lassen, und dass Vergleichsstudien wie Pisa pädagogische und soziale Erfolge nur fragmentarisch und lediglich mehr oder minder am Rande erfassen. Messbarkeitshörigkeit verlangt aber nach harten Fakten. So ist es nur natürlich, dass vor allem Lesekompetenz, Sprachen, Mathematik und Naturwissenschaften in den Fokus der Untersuchungen rücken und „abgefragt“ werden und weniger die sozialen Kompetenzen, musisch-ästhetische Aspekte, Arbeitszufriedenheit und die psychische Stabilität der Schüler.
Material- und Zeitaufwand stehen häufig in keinem vernünftigen Verhältnis zu der Unterstützung, die auf das Ergebnis folgen müsste. So soll jetzt auch an den achten Realschulklassen die Kompetenzanalyse AC (Assessment Center) eingeführt werden. Aber weder Stütz- und Förderstunden noch kleinere Klassen noch Pädagogische Assistenten hält die Landesregierung für die Realschulen in petto, um die Situation dieser erfolgreichen und stabilen, aber von den Schülerzahlen ziemlich „gebeutelten“ Schulart zu optimieren. „Nicht die Diagnose verbessert die Qualität der schulischen Arbeit; man benötigt vor allem die passende `Medizin´ und eine adäquate `Therapie´, um den Lernerfolg der Schüler noch mehr voranzubringen“, sagt VBE-Chef Gerhard Brand. Tests und Vergleiche könnten in bestimmten Bereichen durchaus Defizite aufzeigen, aber nicht beseitigen. Alles lasse sich in der Schule sowie nicht in Diagramme und Tabellen pressen. Deshalb warne der VBE vor einer Testeritis-Gläubigkeit.
20. November 2011